: Douna Loup
: Verwildern Roman
: Limmat Verlag
: 9783038552789
: 1
: CHF 17.80
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nach einer einsamen Kindheit am Rande eines Sees macht sich die Erzählerin, kaum ein Teenager, Hand in Hand mit ihrer Mutter auf die jahrelange Suche nach ihrem unbekannten Bruder. Sie streifen durch Felder und Wiesen, schlafen in den Wäldern und arbeiten auf Bauernhöfen oder in Fabriken. Als die junge Frau die Liebe entdeckt, ist es für sie und ihre Mutter an der Zeit, eigene Wege zu gehen. Douna Loup gelingt es auf bemerkenswerte Art und Weise, die Schönheit und Zerbrechlichkeit der Welt mit allen Sinnen zu erfassen. Mit grossem Feingefühl hat Steven Wyss die Poesie dieses Romans ins Deutsche übertragen.

Douna Loup wurde 1982 in Genf geboren, ihre Eltern waren Marionettenspieler. Sie verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Frankreich, arbeitete in Madagascar und lebt heute in Nantes. Ihr erster Roman, L'Embrasure (2010) wurde mit dem Förderpreis der Schweizerischen Schillerstiftung und dem Prix Michel-Dentan ausgezeichnet. Ihre Texte erscheinen in der Mércure de France und im Verlag Editions Zoé in Genf. Steven Wyss, geboren 1992 in Thun, studierte Angewandte Sprachen und Übersetzen in Winterthur und Genf sowie Contemporary Arts Practice an der HKB in Bern. Neben seiner Tätigkeit als freier Übersetzer arbeitet er im Übersetzerhaus Looren. Er lebt in Zürich. 2023 erhielt er den Kulturförderpreis der Stadt Thun sowie eine literarische Auszeichnung der Stadt Zürich für seine Übersetzung von C.F. Ramuz' «Sturz in die Sonne».

1 — Seen


Niemand wird sich mehr an unsere Wunden erinnern, an unsere Augen im Dunkeln, an unsere Tränen.

Nichts bleibt. Alles vergeht. Glaub bloß nicht, dass auch nur die geringste Spur bleibt. Nichts als Asche und Sand. Stille. Die Erinnerung ist ein Tanz, und der Tanz windet sich und verliert sich dann, wie man sich ganz natürlich im Wasser der Seen verliert.

Wenn der Abend kam, trank ich das Wasser der Seen, denn meine Mutter kam nicht heim, meine Mutter war bis in die Nacht fort, und so legte ich mich am Ufer ins Gras und leckte Wasser von der Seeoberfläche wie eine Hündin. Ich liebte es, in die tiefe Masse des Sees zu schauen und die Fische zu sehen. Stundenlang tauchte ich meine Finger ins Wasser und träumte in die Leere hinein, rannte frei durch die blaue Abendluft und ließ die Sterne auftauchen wie Trugbilder in meinem Traum eines zurückgebliebenen Mädchens. Zurückgeblieben, weil ich einfach blieb, ich wartete, es war schon spät und plötzlich fuhr mir die Kälte in die Kleider. Aber ich wollte nicht allein ins Haus zurück, also blieb ich viel zu lange und wartete auf meine Mutter. Auch der See wurde zu einem zurückgebliebenen See mit seinem Durcheinander aus Sand und Kieseln am Ufer. Er ging nicht weg. Er blieb einfach da, glatt, ruhig, und nichts rührte sich an seiner Oberfläche, außer zur Zeit der weißen Kaulquappen, die sich aneinander rieben und an den Steinen kl