1 — Seen
Niemand wird sich mehr an unsere Wunden erinnern, an unsere Augen im Dunkeln, an unsere Tränen.
Nichts bleibt. Alles vergeht. Glaub bloß nicht, dass auch nur die geringste Spur bleibt. Nichts als Asche und Sand. Stille. Die Erinnerung ist ein Tanz, und der Tanz windet sich und verliert sich dann, wie man sich ganz natürlich im Wasser der Seen verliert.
Wenn der Abend kam, trank ich das Wasser der Seen, denn meine Mutter kam nicht heim, meine Mutter war bis in die Nacht fort, und so legte ich mich am Ufer ins Gras und leckte Wasser von der Seeoberfläche wie eine Hündin. Ich liebte es, in die tiefe Masse des Sees zu schauen und die Fische zu sehen. Stundenlang tauchte ich meine Finger ins Wasser und träumte in die Leere hinein, rannte frei durch die blaue Abendluft und ließ die Sterne auftauchen wie Trugbilder in meinem Traum eines zurückgebliebenen Mädchens. Zurückgeblieben, weil ich einfach blieb, ich wartete, es war schon spät und plötzlich fuhr mir die Kälte in die Kleider. Aber ich wollte nicht allein ins Haus zurück, also blieb ich viel zu lange und wartete auf meine Mutter. Auch der See wurde zu einem zurückgebliebenen See mit seinem Durcheinander aus Sand und Kieseln am Ufer. Er ging nicht weg. Er blieb einfach da, glatt, ruhig, und nichts rührte sich an seiner Oberfläche, außer zur Zeit der weißen Kaulquappen, die sich aneinander rieben und an den Steinen kl