Im Frühjahr 2019 veröffentlichte ich eine erste Sammlung meiner publizistischen Texte über „CDU, AfD und die politische Torheit“.1 Es gab auch einen sehr guten Anlass dafür, meine – oft durchaus verleumderisch ausgeflaggte Position zur AfD klarzustellen. Ich war nämlich im Januar 2019 zum Ko-Vorsitzenden der Wahlprogrammkommission der sächsischen CDU bestellt worden. Gemeinsam gesetztes Ziel war es, am Wahlabend die CDU vor der in Sachsen immer stärker werdenden AfD liegen zu sehen.
Dass es auf ein solches Ziel überhaupt hinzuarbeiten galt, war – so schien mir damals wie heute – die Folge einer sehr falsch angelegten Auseinandersetzung der etablierten Parteien mit der AfD als ihrer neuen, fast von Anfang an auf dem Erfolgsweg befindlichen Konkurrenz. Insbesondere jene Fehler ärgerten mich, welche die CDU dabei begangen hatte.2 Bundespolitisch hatte nämlich gerade sie die Gründung der AfD als einer selbstbewussten Alternative zur für alternativlos erklärten CDU-Politik provoziert. Und landespolitisch hatte die CDU nichts aus den seit 2014 in Dresden vonstatten gehenden PEGIDA-Demonstrationen lernen wollen. Dabei war bereits an diesen gegenstandsnah zu erkennen, welche Art von breiter Unzufriedenheit mit vielen bislang als selbstverständlich erachteten Politiken zur Umschichtung unseres bisherigen Parteiensystems führen würde, falls keine wirkungsvollen Gegenmaßnahmen ergriffen würden.3 Weil aber oft fühlen muss, wer nicht hören will, hat es seither eine beträchtliche Wählerwanderung weg von der CDU hin zur AfD gegeben, und hat obendrein die AfD sehr viele jener Nichtwähler an sich zu binden vermocht, die einst in Sachsen für – jahrelang sogar absolute – CDU-Mehrheiten gesorgt hatten.
Alle dazu führenden Politikfehler fasste ich unter den Begriff der „Torheit“. Die noch drastischere Rede von „politischer Dummheit“ erschien mir als nicht ganz angemessen, weil doch auch kluge Argumente – oder zutreffender: Argumente von klugen Leuten – zu jenem ganz kontraproduktiven, allgemein abwertenden und ausgrenzenden Umgang mit der AfD geführt hatten, über den sich Journalisten und Wissenschaftler, Leute aus Kirchen und Zivilgesellschaft, desgleichen Politiker von der Linken über die Grünen und die Sozialdemokraten bis hin zur CDU, so lange so einig waren. Doch leider verfehlten viele jener Argumente die zu berücksichtigenden Tatsachen, und etliche Aussagen waren vor allem auf Wunschdenken gegründet.
Oft lässt sich erst im Nachhinein erkennen, wer bei einem Grundsatzstreit klüger oder törichter argumentiert, besser oder schlechter gehandelt hat. Auch deshalb mag es nützlich sein, im Licht der seitherigen politischen Entwicklung meine vor und nach 2019 erstellten Analysen und Kommentare zur AfD zur Kenntnis zu nehmen.4 Leider ist so gut wie alles so gekommen, wie ich es warnend für den Fall in Aussicht gestellt hatte, dass man nicht meinen, sondern gegenläufigen Lagebeurteilungen und Handlungsempfehlungen folgen würde. Jedenfalls lässt sich seit dem Aufstieg der AfD zur – zumindest derzeit – stärksten Partei in Ostdeutschland, auch zur wohl zweitstärksten Partei bundesweit, keineswegs mehr behaupten, die allenthalben praktizierten Umgangsweisen mit der AfD wären im beabsichtigten Sinn erfolgreich gewesen.
Doch es wurden meine – seit 2014 immer wieder gleich vorgetragenen – Argumente jahrelang wenn schon nicht für abwegig gehalten, so doch als parteiisch ausgegeben. Und zwar als parteiisch dahingehend, dass mein Anliegen weder ein gemäß den Grundsätzen pluralistischer Demokratie ausgetragener Parteienstreit noch die Stärkung realpolitischer Vernunft in der AfD wäre, auch nicht deren politisches Niederringen seitens der CDU, sondern dass ich auf nichts anderes hinauswollte als auf die Herbeiführung eines politischen Bündnisses zwischen AfD und CDU. Das war zwar schlicht abwegig und fand keinerlei Bestätigung in meinen einschlägigen Interviews und Publikationen, heilte aber anscheinend die kognitiven Dissonanzen derer, die mich für einen anderen als den üblich gewordenen Umgang mit der AfD eintreten sahen. Nämlich für einen solchen, bei dem diese Partei inhaltlich ernst genommen und diskursiv wie jede andere Konkurrenzpartei behandelt würde.
Unter der von vielen als nachgerade unbezweifelbar behandelten Annahme, dass eigener guter Wille und neugierige Offenheit hinsichtlich einer „zweifelsfrei rechtspopulistischen, ja rechtsextremen Partei“ ohnehin nicht infrage kämen, konnten meine anderslautenden Verhaltensratschläge vielleicht wirklich klingen wie die eines verhohlenen AfD-Freundes – zumindest solange, wie man sich nicht ernsthaft mit ihnen auseinandersetzte. Und gar als eine Bestätigung einer solchen Wahrnehmung mochte es gelten, dass etliche AfD-Anhänger mich öffentlich als auf ihrer Seite stehend einschätzten, weil ich nämlich – sehr anders als die meisten akademischen Beobachter – stets fair über sie schrieb und sprach. Doch das hielt man damals eben nicht für ein angemessenes Verhalten beim Umgang mit der AfD und sieht es wohl auch heute noch nicht als ein solches an. Offensichtlich ist „hate speech“ nur dann verpönt, wenn sie sich gegen die eigenen Positionen richtet.
Jedenfalls war meine Rolle in der Wahlprogrammkommission der CDU kaum öffentlich geworden, als es schon zu einer Art Kampagne kam, mit der meine politische und wissenschaftliche Integrität in Zweifel gezogen werden sollte.5
Diese Kampagne nährte sich gerade auch davon, dass ich nicht nur einen anderen als den rasch üblich gewordenen, ausgrenzenden Umgang mit der AfD angeraten, sondern diesen auch selbst praktiziert hatte. Ich war nämlich Einladungen der AfD gefolgt, auf einer Dresdner Tagung über vernünftige Formen direkter Demokratie zu reden,6 auf einer Berliner Veranstaltung die Verantwortung der AfD hinsichtlich von aufkommendem Extremismus zu erörtern7 sowie in B