Ich treibe auf einem Floß mitten im Meer, die Sonne scheint, das Wasser plätschert leise. Nirgendwo Hausaufgaben in Sicht. Über mir fliegen bunte Vögel, Mantarochen begleiten mich. Wenn ich meine Hand ins Wasser halte, dann nuckeln sie sachte an meinen Fingern. Das Ufer einer Insel ist schon zu sehen, mein freundlicher Riese steht am Ufer und winkt mir zu. In der einen Hand hält er eine Schüssel mit einem Berg Spaghetti, mit der anderen langt er ins Meer und zieht mein Floß an Land. Bestimmt feiern wir gleich eine Party.
Alles totaler Quatsch. Das Floß ist mein Bett. Hier plätschert rein gar nichts und anstatt von Mantarochen bin ich umzingelt von Umzugskartons. Hier liege ich, mitten in einem fremden Zimmer, ganz ohne irgendeine Aussicht auf eine Party. Mein Leben ist komplett partylos. Der Einzige, der hier gerade Party macht, ist der blöde Mond. Es sind nämlich noch keine Vorhänge am Fenster, deshalb kann er ungehindert zu mir hereinglotzen. Alles, was ich machen kann, ist: zurückglotzen. Der Mond will nicht, dass ich einschlafe. An der einen Seite hat er eine kleine Delle. Bedeutet das, dass er zunimmt oder abnimmt? Keine Ahnung. Annette hätte das gewusst. Und sie hätte vielleicht auch gesagt, dass der Mond gar keine Seite haben kann, weil er rund ist.
Ich dreh mich auf die Seite und schon glotzt mich der Nächste an: der Umzugskarton direkt vor meinem Bett. Vielleicht bewegt er sich, wenn ich lange genug zurückglotze? Gestern habe ich den zusammen mit Hunderttausenden anderen Umzugskartons hier in den obersten Stock geschleppt. Mir tun immer noch die Arme weh. Ich strecke meinen rechten Arm lang nach oben mitten ins Mondlicht, mache eine Faust, winkle den Arm an. Vorsichtig drücke ich mit dem Zeigefinger dort rein, wo der Bizeps sein soll. Bei Annette hat es sich an dieser Stelle immer angefühlt wie ein großer, harter Avocadokern. Bei mir fühlt es sich eher an wie Avocadocreme. Schnell stopfe ich meinen Arm zurück unter die Decke. Die riecht wenigstens noch nach zu Hause. Bestimmt schlafe ich gleich ein. Bestimmt. Doch bald merke ich: Es funktioniert nicht. Denn jetzt hab ich Durst.
»Hast gewonnen«, flüstere ich dem Mond zu.
Im Flur sind rechts und links Umzugskartons gestapelt, in der Mitte ist ein schmaler Gang frei geblieben. Wann sollen wir das alles nur auspacken? Und vor allem: Wo soll das alles hin? Im Vorbeigehen kriegt einer der Kartons einen Tritt von mir. Es ertönt ein leisesKlingeling. Als ob zwei Gläser gegeneinanderstoßen: Prost, auf unser neues Leben in einer muffigen, kleinen, fremden Wohnung! Das leise Klingeling klingt so ganz anders als das Geschrei, das Mama und Annette veranstaltet haben, als es um die Aufteilung dieser Sachen in den Kartons ging. Bis zuletzt haben sie darüber gestritten, weil sie nicht mehr wussten, wem was genau gehört. Sie hatten es zwar vergessen, aber egal war es ihnen trotzdem nicht:Das hat mir gehört! Das hab ich gekauft! Das fandest du nie so schön wie ich!
Dass Mama und ich ausgezogen sind, das kam für mich ganz schön plötzlich. Ich verstehe es bis heute nicht. Bevor wir unsere Sachen in Kisten gepackt haben