Vorwort: Es ist Krieg
Russland greift an. Wenn es nicht gestoppt wird, sieht es für die Zukunft der folgenden Generationen schlecht aus. Es geht um Freiheit. Freiheit ist etwas, das man schnell verliert, und mit ihr Unabhängigkeit, Gerechtigkeit und die Möglichkeit, sich einzumischen. Ist die Freiheit einmal weg, ist es äußerst mühsam, sie wieder zu erkämpfen. Wie mühsam, zeigt unter anderem der Blick nach Belarus, wo die Menschen seit Jahrzehnten erfolglos versuchen, sich von der Diktatur zu befreien, und immer tiefer in die Fänge der Mächtigen in Moskau gelangen. Russland greift uns an. Und es ist höchste Zeit zu verstehen, wie.
Die Nacht vom 22. auf den 23. Mai 2024 ist in Estland kühl. Am Ufer der Narwa singen Nachtigallen. Die klobigen grauen Mauern der Hermannsfeste sind mit sanftem orangefarbenen Licht angestrahlt, spiegeln sich im Wasser des Grenzflusses. Gegenüber unbeleuchtet die ebenso grauen Mauern der Festung Iwangorod, Symbol mittelalterlicher Macht Russlands. Zwischen ihnen markieren Bojen die Staatsgrenze. Im Morgengrauen steuert ein russisches Schiff eine Boje an, stoppt und holt sie aus dem Wasser, fährt ein Stück weiter, stoppt an der nächsten Boje und sammelt auch diese ein. So geht es fort. Als die Sonne aufgeht, ist die Grenze zwischen Russland und Estland in diesem Teil des Flusses nicht mehr sichtbar. Bereits seit Längerem möchte die russische Regierung auch die Grenzen vor der Küste „aktualisieren“. Die estnische Regierung bestellt den russischen Botschafter ein, Estlands Premierministerin Kaja Kallas erklärt, Russland wolle „Angst und Schrecken verbreiten“. Der Außenbeauftragte der Europäischen Union spricht von einer „Provokation“. Auch Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius ist besorgt. Wladimir Putin betreibe „Verunsicherung, Provokation, Rücknahme, Relativierung, den Spalt dazwischentreiben, Drohen – also immer das ganze Repertoire“. Pistorius sieht ein Muster „perfider hybrider Kriegsführung“.
Eine Woche später schreckt eine Nachricht aus Polen die europäische Öffentlichkeit auf: Die Regierung plane, 200 000 Reservisten einzuziehen und sie sofort in die Ukraine an die Front zu schicken. Im Absender steht zwar die seriöse polnische NachrichtenagenturPAP, doch deren Journalisten wissen von nichts. Ein Regierungssprecher stellt umgehend klar: Polen plant keine Mobilmachung. Die Meldung ist frei erfunden. Die Nachrichtenagentur wurde gehackt, und die Hacker schicken die Meldung demonstrativ ein zweites Mal hinaus. Polen ist einer der wichtigsten Ukraine-Unterstützer und seit Monaten russischen Angriffen ausgesetzt. Solche Cyberangriffe sind nur ein Teil davon.
In Deutschland trifft es unter anderem die SPD-Parteizentrale. Im Dezember 2022 werden ihre E-Mail-Konten gehackt. Außerdem werden Netzwerke deutscher Rüstungs-, IT- und Luftfahrtunternehmen angegriffen. Nach wochenlangen Ermittlungen ist sich die Bundesregierung sicher: Hinter dem Angriff steckt der russische Militärgeheimdienst. Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnt: Bereits vor Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine sei die Gefährdungslage „hoch“ gewesen, nun habe sie sich „weiter verschärft“. Im Juni 2024, kurz vor der Europawahl, folgt ein Hackerangriff auf die CDU.
Russland führt einen Vernichtungskrieg gegen die Ukrainer, und es führt einen Schattenkrieg gegen gefestigte Demokratien. Die Mächtigen in Moskau wollen Nachbarstaaten unterwerfen, sie wollen verhindern, dass junge Demokratien sich dem Griff Russlands entziehen. Sie wollen Gesellschaften unterwandern, zersetzen, zerstören, kolonial