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»Und, Emilie? Wie sehe ich aus?« Alban zieht den Vorhang zur Seite, tritt aus der Umkleidekabine und breitet die Arme aus. Er trägt das dunkelblaue T-Shirt, das ich für ihn ausgesucht habe.
»Ich hatte recht mit der Farbe. Sie betont deine Augen«, sage ich.
»Auf eine positive Art, hoffe ich«, sagt er und lächelt kaum merklich. »Sitzt es okay?« Er dreht sich im Kreis, damit ich alles sehen kann. Der Stoff schmiegt sich an seinen trainierten Oberkörper, ohne zu eng zu sitzen und ihn wie einen Bodybuilder aussehen zu lassen, der aus dem nächstbesten Fitnesscenter entsprungen ist.
»Perfekt. Der V-Ausschnitt steht dir.« Ich werde nach und nach immer besser mit diesem ›Shopping‹, obwohl ich selbst mir das eher selten gönne. Ein paarmal im Jahr die immer selben Secondhandläden aufzusuchen, zählt nicht wirklich.
»Es fühlt sich auch wirklich gut an.« Alban schwingt mit den Armen, um die Elastizität des Stoffes auszutesten. »Ist das reine Baumwolle?«
»Ich glaube schon.«
»Du glaubst?« Er streicht mit dem Zeigefinger über die Naht des einen Ärmels. Über seiner Nasenwurzel bildet sich eine kleine Falte. »Fünfundneunzig Prozent Baumwolle, fünf Prozent Elastan, sage ich. Der Verlierer gibt ein Eis aus.«
»Eis? Im November? Bist du so scharf auf Hirnfrost?«
»Hast du Angst zu verlieren?« Alban hebt eine Augenbraue.
»Pah! Fang ruhig schon mal an, dein Kleingeld zu zählen. Und jetzt dreh dich um!«
Er gehorcht und ich fummele das Etikett aus der Innenseite. Dieses Spiel spielen wir nicht zum ersten Mal, und ich überlege kurz, ob ich inzwischen besser im Lügen geworden bin.
»Und?«, fragt Alban.
»Fünfundneunzig Prozent Baumwolle, fünf Prozent Elastan und fünfzig Prozent Kryptonit. Stoffnerd!«
»Ich glaube, der Stoffnerd hat heute Lust auf Schokoeis.« Er verschwindet wieder in der Umkleidekabine und zieht den Vorhang hinter sich zu. »Wo hast du das graue T-Shirt hingetan?«
»Hängt links am Haken. Und Schokoeis essen nur alte Leute!«
Ich höre das Geräusch eines Kleiderbügels, der gegen die Wand klappert.
»Kann da jemand nicht gut verlieren, meine minderjährige Freundin?« Alban lacht hinter dem Vorhang.
»Von wegen«, gebe ich zurück. »Und mit siebzehn bist du auch noch nicht volljährig, mein Lieber! Immer noch ein Jahr, bis du Zigaretten kaufen und Auto fahren darfst.«
»Dann wird es ja höchste Zeit, dass ich mit dem Rauchen anfange. Und meine Mutter überrede, mich den Führerschein machen zu lassen. Irgendwannmuss sie doch mal nachgeben.«
Der Vorhang wird wieder zurückgezogen. Alban steht vor mir, die Arme voller Klamotten; über seinem lilafarbenen T-Shirt trägt er eine Jacke und einen Schal.
Lila passt gut zu seinem dunkelbraunen Haar und seinen stahlblauen Augen. Nicht dass ich Mode-Expertin wäre, aber ich habe einen guten Blick dafür, ob Farben miteinander harmonieren oder nicht. Das kommt ganz von allein, wenn man jeden Tag zeichnet, und genau deshalb hat mich Alban als Co-Pilotin für seine Shoppingtouren engagiert. Selbst wenn er ein Gespür für Stoffe hat, gehören Farben einfach nicht zu seinen Stärken.
Ich nehme seine ausgestreckte Hand.
»Soll ich dir nicht lieber damit helfen?«, frage ich mit einem Blick auf den großen Stoffhaufen über seinem freien Arm.
»Eure zarten Hände sollten nicht durch die unreinen Gewänder eines Plebejers besudelt werden«, erwidert er mit aufgesetzter Empörung.
»Pssst! Wenn du so redest, halten dich die Leute noch für meinenVater!«, zische ich und ziehe ihn fort vom Umkleidebereich. »Oder für ein Relikt aus irgendeinem vergangenen Jahrhundert.«
»Das WortPlebejer ist in unserer Sprache völlig zu Unrecht in Vergess