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Die Brise vom Mittelmeer trug die ersten Zeichen des kommenden Sturms heran. Safia Meziane stand auf dem Kamm des Hügels und blickte über das türkisfarbene Wasser, das langsam in Bewegung geriet, weil der Wind mit verstohlenen Fingern an der glasartigen Oberfläche zupfte. Der Knoten in ihrem Magen wurde noch fester, als sie zusah, wie das Meer zusehends unruhiger wurde. Für gewöhnlich liebte sie Stürme, aber heute quälte sie die Unruhe, war sie sich sicher, dass das Wetter etwas bedeutend Unheilvolleres als Blitz und Donner brachte.
»Diesen Anblick werde ich niemals müde«, sagte Amastan Meziane, den Blick hinaus auf das Meer gerichtet. »Als junger Mann stand ich mit meinem Vater genau an dieser Stelle und fühlte mich vom Glück begünstigt, an diesem Ort leben zu können.«
»So wie ich auch«, gestand Safia und sah ihren Großvater an.
Safias Familie waren Imazighen. Außenstehende bezeichneten sie manchmal als Berber. Der Familie gehörte ein sehr erfolgreicher Bauernhof in den Hügeln oberhalb von Dellys. Sie hatten einen außergewöhnlichen Blick auf das Meer und den Hafen dieser Stadt. Auf dem Landwirtschaftsbetrieb wurden die verschiedensten Tiere gehalten, hauptsächlich Schafe und Ziegen. Die gewonnene Wolle wurde für die Kleidung und die Teppiche gesponnen und gefärbt, die sie auf dem Markt verkauften oder von der Familie, in die Safias älteste Schwester eingeheiratet hatte, durch die Sahara zu auswärtigen Märkten gebracht wurden. Andere Familienmitglieder stellten Schmuck oder Töpferwaren her. Alle trugen zu dem Erfolg des Haushalts, des Bauernhofs und des Stammes bei.
Ihr Großvater Amastan war der anerkannte Führer der Familie. Genau wie er hatte sich Safia stets glücklich geschätzt, in diese Familie geboren worden zu sein. Dort zu leben, wo sie lebte. Auf dem Familienhof groß zu werden. Sie hatte zwei ältere Schwestern, die sie abgöttisch liebten, und drei ältere Brüder, die sie wie einen kostbaren Schatz behandelten, genau wie ihre Eltern und Großeltern. Alle schufteten auf dem Hof. Als ihre älteste Schwester Illi geheiratet und mit ihrem Mann Kab gegangen war, hatte sich niemand über die nun zusätzlich anfallende Arbeit geärgert. Sie freuten sich für Illi, aber Safia vermisste sie schrecklich und freute sich auf den Augenblick, an dem sie von ihren Reisen zurückkehrte.
Amastan seufzte. »Unsere Familie hat über Jahrhunderte gute Phasen erlebt, Safia. Wir können uns nicht beklagen. Wir haben immer gewusst, dass dieser Augenblick kommen wird.«
Er fühlte es auch. Sie bildete es sich nicht ein. Diese Sturmböen trugen das Böse mit sich. Still und leise hatte es ihren Hof infiziert. Sie hatte es die ganze Zeit gewusst, aber ihr Bestes getan, es als unbegründete Einbildung abzutun. Die Zahl der Schädlinge hatte sich plötzlich vervielfacht. Vor drei Wochen hatte sie die Spuren eines unbekannten Raubtiers entdeckt. Vor einer Woche hatten mehrere wilde Tiere in der Nähe der Klippen eine Ziege ausgeweidet. Was für welche es auch immer waren, sie schienen immer im Boden zu verschwinden, wenn sie versucht hatte, den Spuren zu folgen. Es war jedenfalls mehr als eines gewesen, aber sie konnte die genaue Zahl einfach nicht herausfinden.
»Ich liebe es, wie Dellys aussieht,Jeddi, Tag oder Nacht. Wie sich die schönen modernen Bauten einfügen, die nahe der al