Kapitel 1 – 1984
Ernesto da Silva Costa, auf der Insel Pico und dem gesamten Azoren-Archipel besser bekannt als »Adlerauge«, kam an dem kleinen Walbeobachtungsturm, der Vigia, an. Er öffnete die Tür mit dem alten Schlüssel, der bereits seinem Vater und Großvater gehört hatte, und stieg die wenigen Stufen zum Ausguck hinauf. An klaren Tagen konnte er das Meer von der Vigia am Hang über der Gemeinde Lajes do Pico aus in einer Entfernung von bis zu 50 Seemeilen von Ost nach West und 20 Seemeilen nach Süden beobachten, also einen Radius von fast 200 Grad überblicken. Er überwachte einen Abschnitt des Ozeans, der den gewaltigen mittelatlantischen Rücken bedeckte. Aus der tiefen Unterwasserwelt erhoben sich an einigen Stellen die Spitzen der Gebirgskette und bildeten den Azoren-Archipel, wo der Berg Pico der höchste Punkt Portugals war.
Ernesto legte seinen Rucksack ab, stellte die Kaffeemaschine an und setzte sich auf die alte, drehbare Bank. Er griff nach dem Fernglas, sah hindurch und suchte langsam und konzentriert die Oberfläche des Ozeans ab. Das weite Meer lag wie ein riesiger Spiegel vor ihm und war doch nie ganz still. Geduldig hielt er Ausschau. Sein geschärfter Blick wanderte über das dunkle Blau des Wassers, das sich in endloser Weite vor ihm erstreckte. Die Schönheit des Meeres brachte Ernesto zum Träumen. Er liebte es wegen seiner Unermesslichkeit und seiner Kraft. Für ihn war das Meer ein Mysterium, in dessen Tiefe zahlreiche Geheimnisse schlummerten. Die tägliche Beobachtung des offenen Meeres war für ihn eine einzigartige Reise, bei der sich das Ziel jeweils mit der Flut verschob.
Ernesto betrachtete die Bewegung der Wellen. An der Kimm entlang suchte er behutsam von West nach Ost Welle für Welle nach den vertrauten Dampfwolken ab, auf die er schon seit Tagen wartete.
Plötzlich glitt sein Blick zurück, denn ihm war, als hätte er einen weißen Strahl in dem blauen Wellental ausgemacht. Mit klopfendem Herzen suchte er weiter und entdeckte eine Dampfwolke. Und auf einmal tauchte vor seinen Augen der Gigant der Ozeane auf: ein Pottwal. Gebannt schaute er durchs Fernglas und beobachtete den Wal, der in etwa drei Meilen Entfernung direkt vor dem Walfängerdorf Lajes do Pico den Atlantik durchquerte.
Der feine Nebelstrahl war für sein geschultes Auge schon von Weitem zu erkennen. Der schräg ausströmende Blas des Pottwals stieg wie eine majestätische Wasserfontäne auf.
Ohne sich zu vergewissern, ob es sich um einen oder um mehrere Wale handelte, eilte er die Stufen hinunter und verließ die Walbeobachtungsstation. Draußen kehrte Ernesto der leichten Brise aus Südwest den Rücken zu, zündete an einer halb leeren Schachtel hektisch ein Streichholz und mit diesem eine Zigarette an. Geschickt