Teil eins
Die Fantastischen Fünf
Kapitel1
West Knoll High School
Fünfzehn Jahre zuvor
Delta Smith warf die Metalltür ihres Spinds so energisch zu, dass der Knall wie ein Pistolenschuss durch den leeren Schulflur hallte. Sie schlug sie zu, obwohl ihre Bücher und die anderen Sachen noch im Spind lagen. Hätte sie nicht noch einmal die Zahlenkombination eingeben müssen, hätte sie die Tür erneut aufgerissen und zugeknallt, womöglich noch heftiger. Sie war so wütend, dass sie am liebsten um sich geschlagen hätte. Oder einen Urschrei ausgestoßen. Zora hatte es ihr gerade in der Pause erzählt – keine Ahnung, warum sie so lange damit hinterm Berg gehalten hatte. Amanda, dieses verfluchte Miststück! Diese eingebildete, treulose Schlampe. IhreFreundin. Eine ihrerbesten Freundinnen! Nun, jetzt nicht mehr. Man spannte seiner Freundin nicht den Freund aus und tat dann auch noch so, als wollte man weiterhin mit ihr befreundet bleiben. Als ob das funktionieren würde.Niemals!
Frustriert schlug sie mit der flachen Hand gegen die Metalltür und heulte auf vor Zorn.
Wie hatte es dazu kommen können? Wie? Amanda wusste, dass Tanner ihr gehörte. Siewusste es. Alle wussten es. Es gab Regeln. Regeln, gegen die man besser nicht verstieß.
Delta atmete tief durch und gab sich alle Mühe, sich zu beruhigen, dann stellte sie die Zahlenkombi ein und öffnete den Spind erneut. Ihr Herz raste, ihr Atem ging schnell, ihr Gesicht brannte. Sie konnte es einfach nicht ertragen. Wollte sich gar nicht erst vorstellen, wie es wohl sein mochte, auf den Schulhof zu gehen und den anderen ins Gesicht zu blicken, denn jeder – die ganze Schule – wusste davon. Sie wussten es vermutlich schon seit dem letzten Wochenende, aber niemand hatte ihr etwas gesagt. Bis Zora sich verplappert und Delta sie gezwungen hatte, ihr reinen Wein einzuschenken. Und das wussten jetzt auch alle. Sie wussten, dass sie es wusste.
Alle wussten es! Alle!
Delta nahm Bücher, Handtasche und Handy – das von ihrer Mom, denn ihre Eltern kauften ihr kein eigenes. Handys waren teuer, und die beiden trauten ihr offenbar nicht zu, sorgfältig genug damit umzugehen. »Gib gut darauf acht«, hatte ihre Mutter sie ermahnt.
Sie schaltete das Mobiltelefon ein und rief zu Hause an. »Kann mich jemand abholen?«, bat sie ihre Mutter mit erstickter Stimme. Draußen, vor dem Fenster am Ende des Flurs, das auf den Parkplatz hinausging, sah Delta Gruppen von Kids, die zu ihren Autos oder den wartenden Eltern gingen; manche, die in der Nähe wohnten, machten sich zu Fuß auf den Heimweg.
»Ich dachte, Tanner würde dich nach Hause bringen.«
Tanner.
»Nein«, sagte Delta und gab sich alle Mühe, ruhig zu sprechen. Sie wollte nicht, dass ihre Mutter das Zittern in ihrer Stimme bemerkte.
»Nun, ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen, deshalb kann ich frühestens in einer halben Stunde da sein. Könnte dich nicht jemand anderes fahren?«
Der hoffnungsvolle Unterton in der Stimme ihrer Mutter war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. »Ich warte!«, stieß Delta hervor und legte auf, dann brach sie in zornige Tränen aus.
Blind tastete sie sich zur Mädchentoilette vor, wo sie sich in eine der Kabinen einschloss, um unbemerkt die halbe Stunde zu verbringen, bis ihre Mom sie abholte. Hoffentlich waren die anderen Kids bis dahin fort!
Ein paar Minuten weinte sie leise weiter, dann wischte sie sich mit dem rechten Zeigefinger die Tränen ab. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie die winzige rot-goldene Blume auf dem Fingernagel, die genauso aussah wie Amandas. Und Carmens. Und Baileys. Und Zoras. Sie alle gehörten zu den Fantastischen Fünf, der beliebtesten Clique der ganzen Highschool. Sie alle trugen die kleine rot-goldene Blume auf dem Nagel des rechten Zeigefingers, ihre Farben – die Farben der West-Knoll-Grundschule, wo sie einander kennengelernt und festgestellt hatten, dass ihre Initialen A, B, C und D waren. Sie hatten sich auch mit Ellie angefreundet, aber die war eine schrecklich selbstgerechte Heu