Kapitel 3:
Im Uhrenmuseum
Geduldig brummte der Jaguar die vielen eng aufeinanderfolgenden Kurven nach oben. Es war wenig Verkehr. Karmann konnte entspannt die atemberaubenden Ausblicke genießen, die sich ihm boten, je weiter er sich den Berg hinaufschraubte. Tief hängende Wolken verfingen sich in der Kulisse der Tannen im oberen Ausläufer des Tales, ab und zu unterbrochen vom Flug eines der Greifvögel, die hier oben ihr Zuhause hatten.
Karmann hatte die Straße über das Simonswälder Tal gewählt. Er hatte Zeit und nahm die geringfügig weitere Strecke gerne in Kauf. Er kam jedes Mal aufs Neue ins Staunen, wie sehr sich die Landschaft auf wenigen Kilometern drastisch änderte. Von der Rheinebene um Freiburg durch die Enge der Schwarzwaldtäler bis hinauf zu den Berghängen, wo sich die Straße bis fast auf 1.000 Meter Höhe emporwand, überraschte ihn jede Kurve, jeder Kilometer mit neuen Ausblicken. Wenn im Tal im Frühjahr Krokusse, Forsythien und Osterglocken blühten, konnte es sein, dass er auf den Höhen von plötzlichem Nebel oder Schneefall überrascht wurde. Die Jahreszeiten türmten sich übereinander wie Sehnsüchte und Erinnerungen. Das Bewusstsein durchstreifte die unterschiedlichen Höhenlagen wie ein Regal, in dem die Bücher übereinandergestapelt darauf warteten, der Reihe nach aufgeschlagen zu werden.
Karmann hatte Kurt Steinhuber vor sieben Jahren kennengelernt. Im FreiburgerAugustinermuseum hatte es eine Ausstellung über Schwarzwaldmaler gegeben. Beide waren länger als gewöhnlich vor einem Bild von Karl Hauptmann stehen geblieben. Ihr kurzes Gespräch hatten sie in einem der Altstadtcafés fortgeführt und dabei neben der Liebe zum Schwarzwald weitere Gemeinsamkeiten entdeckt. Als Steinhuber von Karmanns Uhrenleidenschaft hörte, hatte er ihn eingeladen, ihn an seinem Arbeitsplatz im Furtwanger Uhrenmuseum zu besuchen. Seither waren sie in losem Kontakt geblieben, Steinhuber hatte Karmann mehr als einmal einen wertvollen Tipp für dessen eigene Sammlung gegeben. Als Karmann ihn dieses Mal anrief, war er sofort bereit, ihn am Nachmittag in seinem Büro zu empfangen.
Kurz hinter Gütenbach stieß Karmann auf die B500, die bestens ausgebaute Bundesstraße, die sich von Waldshut am Hochrhein über die Kämme des Hochschwarzwalds bis Baden-Baden zog. Von hier aus waren es nur noch wenige Kilometer bis Furtwangen, seinem Ziel.
Vom Parkplatz aus bis zum Haupteingang desDeutschen Uhrenmuseums waren es ein paar Schritte. Heute war Ruhetag, die Tür wie erwartet abgeschlossen. Karmann läutete, und Steinhuber empfing ihn.
»Was treibt dich in die Provinz?«, fragte Steinhuber, nachdem er Karmann in sein Büro geführt und beiden einen Kaffee mit seiner modernen Siebträgermaschine aufgebrüht hatte.
Karmann nahm einen vorsichtigen Schluck. Obwohl er Teetrinker war, genoss er von Zeit zu Zeit das kräftige Aroma eines gut zubereiteten Kaffees. »Leicester«, gab er vielsagend zur Antwort, »die Uhrenmesse.« Er zog seine Brieftasche aus dem Jackett, griff hinein und legte den Zettel auf den Tisch,