Als Weller und Ann Kathrin vor der kleinen Pension in Norddeich parkten, sahen sie bereits, dass Rebecca Kresse, Holger Bloem und Aike Ruhr mit dem Ehepaar Walchum im Garten saßen. Natürlich war es für die ostfriesischen Journalisten wichtig, nun die Geschichte der Toten zu erzählen.
Weller fand es im ersten Moment nicht gut, doch Ann Kathrin war anderer Meinung: »Manchmal sehen die Journalisten das noch mal aus einer ganz anderen Perspektive als wir. Ich habe aus Zeitungsporträts manchmal mehr erfahren als aus unseren Akten. Die stellen einfach andere Fragen.«
»Sollen wir später wiederkommen?«, fragte Weller und bot ultimativ an: »Oder die einfach wegschicken?«
Ann Kathrin bezweifelte zwar, dass das so einfach werden würde, entschied sich aber auch dagegen. »Wir setzen uns dazu, Frank. Wir verhalten uns ruhig und sensibel. Manchmal bekommt man, wenn man einfach nur zuhört, mehr Hinweise als durch investigatives Nachfragen.«
Weller fühlte sich ein bisschen gemaßregelt. Gleichzeitig wusste er, dass sie recht hatte.
Sie gingen direkt durch in den Garten. Ein milder, sonniger Tag bescherte den Touristen einen großartigen Urlaub am Meer. In den Außenbereichen der Eisdielen und Cafés gab es kaum noch freie Stühle.
Marlene Walchum bot den beiden gleich Platz an und Tee.
Rolf Walchum glaubte noch, er müsse sie den Journalisten vorstellen, doch die nickten nur: »Wir kennen uns.«
»Wir waren gerade dabei«, sagte Rebecca Kresse, »als Ihre Tochter Abitur gemacht hat und Sie akzeptieren mussten, dass sie keineswegs vorhatte, die elterliche Pension zu übernehmen.«
»Ja, Ferienwohnungen waren so gar nicht ihr Ding«, antwortete Marlene Walchum.
Rolf Walchum erklärte: »Na, das kann ich auch verstehen. In der Gastro zu arbeiten, das ist so eine Sache. Wir kriegen ja immer weniger Personal. Wenn alle Urlaub machen, sich amüsieren und ausgehen, dann müssen wir halt arbeiten.«
Marlene Walchum ergänzte: »Und unsere Anna war eine ganz Lebenslustige …«
Ihr Mann nickte: »Ein richtiger Feger.«
Weller zeigte auf seinem Handydisplay die roten High Heels vor, die am Tatort gefunden worden waren. »Sind die Schuhe Ihrer Tochter?«
Rolf Walchum machte ein ratloses Gesicht. »Die hat Schuhe gekauft ohne Ende! Die war schuhsüchtig!«
»Ja«, bestätigte seine Frau, »und sie konnte auf solchen Dingern auch laufen. Ich würde mir da die Haxen brechen. Aber sie hat das richtig geübt. Sie konnte auch darin tanzen. Sie sagte immer, das mache ihre Waden schön. Mein Orthopäde dagegen behauptet …«
Weller unterbrach sie sanft: »Sind das ihre Schuhe? Erkennen Sie die wieder?«
»Ja«, fragte Herr Walchum, »warum sollen es denn nicht ihre Schuhe sein? Wenn sie die anhatte …«
Marlene Walchum goss Weller Tee ein, völlig unostfriesisch einfach so in die Tasse. Dann erst reichte sie ihm Kluntje und Sahne.
Er staunte. Es zeigte ihm, wie sehr die Frau innerseelisch aus dem Tritt geraten sein musste, wenn sie als Gastgeberin nicht einmal mehr die ganz einfache Teezeremonie hinbekam. Dabei fand er die beiden ganz schön tapfer, dass sie jetzt schon hier mit Journalisten saßen und ein Interview gaben.
»Unsere Tochter«, behauptete Frau Walchum, »hatte hundert Paar Schuhe, wenn nicht noch mehr. Ein großer Teil davon ist oben. Mein Mann hat ihr extra ein Regal dafür gebaut.«
»Bis zur Decke«, warf er ein.
»Sie werden dort auch viele hochhackige Schuhe finden. Wie gesagt, sie konnte damit wirklich gut laufen. Aber rote Schuhe sind garantiert nicht dabei.«
Das interessierte Ann Kathrin: »Warum nicht?«
Frau Walchum antwortete mit einem merkwürdigen Stolz: »Das widersprach ihrem Farbkonzept. Sie sagte:Das einzig Rote an mir sollen meine Lippen sein.«
»Wahrscheinlich«, fuhr Rolf Walchum fort, »hat sie genauso viele Lippenstifte wie Schuhe.«
Weller wollte es ganz konkret: »Dann sind das also nicht die Schuhe Ihrer Tochter?«
»Mit ziemlicher Sicherheit nicht. Es sei denn, sie hätte in den letzten