1. KapitelAuf der Erde gelandet!
Noch fünf Stunden und siebenundzwanzig Minuten, dann beginnt das neue Jahr!», verkündet Opa Jan so schwungvoll, dass sein buntes Papphütchen ein wenig ins Rutschen gerät.
So wie er das sagt, könnte man glatt glauben, dass dann alles anders wird. Man öffnet die Haustür, und die Straße ist lila, der Rasen blau und die Wolken gelb. Die Häuser stehen auf dem Kopf und die Menschen laufen auf den Händen. Als Ella noch kleiner war, hat sie sich das jedenfalls immer so vorgestellt. Inzwischen hat sie allerdings schon neun Mal Silvester gefeiert, und weiß, dass es so aufregend auch wieder nicht ist. Aber was das neue Jahr einem wohl bringt, kann ja niemand so genau vorhersagen.
Ella, Levi, Mama, Oma Inge und Opa Jan feiern jedes Jahr zusammen Silvester. Wie immer machen sie auch dieses Mal Fondue und essen viele Berliner. Natürlich keine echten Berliner, sondern das süße Gebäck, das normalerweise mit Marmelade gefüllt ist. An Silvester aber auch manchmal mit Senf! Und natürlich werfen sie auch einen Blick in die Zukunft. Das geht am besten mit Zinngießen. Ein bisschen ist es wie wahrsagen, findet Ella.
«Eigentlich heißt es aber doch Bleigießen», grummelt Opa Jan, als er die Packung mit den Metallplättchen aufreißt. «Zinngießen, das ist wieder so ein neumodischer Kram.»
«Bleigießen darf man nicht mehr machen, Paps», sagt Mama. «Beim Erhitzen von Blei werden lauter giftige Dämpfe freigesetzt, und es wäre doch schade, wenn ausgerechnet der Blick in die Zukunft unser Leben verkürzen würde, findest du nicht?»
Ellas Mama ist Ärztin, und deshalb weiß sie immer ganz genau, was gesund ist und was nicht. Das bringt der Beruf so mit sich. So hat es Oma Inge mal Opa erklärt, und sie hat hinzugefügt, dass es doch schön sei, so eine kluge Tochter zu haben. Opa hatte daraufhin irgendwas gemurmelt und aus dem Fenster geguckt, als hinge die Antwort da draußen in den Bäumen. Ella war seinem Blick gefolgt, aber da war nur ein Eichhörnchen gewesen, das in den Ästen umhersprang.
Ella hält den kleinen Löffel mit dem Zinn über die Kerze. Die ganze Familie sitzt um den Wohnzimmertisch herum und beobachtet gespannt, ob sich was tut. Ihr will schon der Arm lahm werden, da wird das Zinn endlich flüssig und nun geht es ganz schnell. Schwungvoll kippt Ella die flüssige Masse in Mamas Salatschüssel, die mit kaltem Wasser gefüllt ist. Es dampft und zischt wie wild.
«Weil das heiße Metall blitzartig abkühlt», sagt Mama, denn sie kennt sich auch mit Physik bestens aus.
Ella fischt den kleinen Klumpen heraus, dreht und wendet ihn und betrachtet ihn von allen Seiten.
«Das gibt’s doch nicht», murmelt sie. Eigentlich hatte sie sich gewünscht, dass sich das Zinn in ein Haustier verwandelt. Ein Hund, eine Katze, ein Meerschweinchen oder auch eine Maus. Ihr ist alles recht, solange es Fell und vier Beine hat. Doch das hier sieht ganz und gar nicht nach einem Tier aus.
Die anderen beugen sich vor, um auch was zu sehen.
Rote Himbeermarmelade tropft auf Levis Pulli, weil er vor lauter Aufregung vergisst, seinen Berliner gerade zu halten.
«Das ist eine fliegende Untertasse», sagt Ella in die staunende Stille hinein. Ihr wird ganz heiß vor Aufregung, und sie spürt ein merkwürdiges Kribbeln im Bauch. «Ich möchte bloß wissen, was das bedeuten soll.»
«Lass mal sehen.» Oma Inge streckt Ella ihre Hand hin. Ein glitzerndes Papphütchen thront auf ihrem kastanienrot gefärbten Haar, und um ihren Hals kräuselt sich eine Luftschlange. Für das neue Jahr, das unaufhaltsam näher rückt, hat sie sich schick gemacht.
Ella lässt das Zinnstückchen in Omas Hand fallen, und die setzt ihre Lesebrille auf.
«