Prolog
1919. München.
Vor großen Ereignissen verwandelte sich die Villa der Abbings in eine Ballettbühne. Die Bediensteten schwebten wie in einer perfekten Choreographie durch die Räume, um die letzten Vorkehrungen für den Empfang der Gäste zu treffen. Aus der Küche wehten die köstlichsten Düfte heraus, unzählige Gärtner gaben dem Park des Anwesens seinen letzten Schliff, während die Dienerschaft die Anweisungen von Hilde Abbing, der Grande Dame des Hauses, erledigte.
Mit einem prüfenden Blick inspizierte Iwa ihr Erscheinungsbild im Spiegel. Der Blumenschmuck, der ihren dunklen Locken ein mädchenhaftes Flair verlieh, das zarte Rouge, das etwas Farbe auf ihre blasse Haut zauberte, der Sitz des Kleides, das ihre Figur umschmeichelte. Alles musste perfekt sein. Doch je länger Iwa sich anstarrte, desto mehr kam sie sich vor wie eine Porzellanpuppe, die man zu Dekorationszwecken auf ein Sofa setzte.
Mit einem Ruck stand sie auf und trat von der Frisierkommode zurück. Am liebsten hätte sie sich die ganzen Blumen aus dem Haar gerupft und das Rouge von den Wangen gerieben – sie war nicht so zart und lieblich, wie das Spiegelbild es vortäuschte. Aber das ging natürlich nicht. Es wurde von ihr erwartet, sich entsprechend ihrer Rolle als künftige Erbin der traditionsreichen Abbing-Brauerei zu verhalten.
Sie schnaubte, wandte sich schwungvoll vom Spiegel ab und stemmte herausfordernd die Arme in die Hüften. »Und, was sagst du dazu?«, fragte sie die üppige Monstera deliciosa, die in einer Ecke ihres Zimmers wuchs. »Nur nicht so schüchtern! Ah, verstehe. Du findest einfach keine Worte, um auszudrücken, wie grässlich das alles ist. Ja, geht mir genauso.« Sie erzwang ein Lächeln, machte einen Knicks und hielt mit gekünstelter Geste eine Hand an eines der großen, dunkelgrünen Blätter. »Sie sehen heute ganz fabelhaft aus, Frau Richterin«, säuselte sie. »Oh, tatsächlich, Herr General? Wie überaus amüsant!« Iwa verzog das Gesicht und schlug enttäuscht gegen die Pflanze. »Ja, dann sag mir doch, wie ich dieses Theater ertragen soll!« Die Blätter nickten ihr bloß stumm zu. »Ach, was erwarte ich auch von einer Zimmerpflanze!«
Sie hatte das Gefühl zu ersticken, trat zum Fenster und öffnete es sperrangelweit. Die abendliche Brise wehte herein und zupfte sanft an den Vorhängen. Tief sog Iwa die frische Luft ein und wollte – ihrem Schicksal ergeben – zurück an die Frisierkommode treten, als sie eine Gestalt durch den Park schleichen sah.
Sie spähte in die Dämmerung. Wer besaß bloß so viel Dreistigkeit, am Abend der Festlichkeiten im Hause Abbing sich vor seinen Pflichten zu drücken? Großmutter würde toben, sollte sie davon erfahren. Denn für private Belange, geschweige denn romantische Rendezvous konnte heute niemand Zeit haben. Iwa betrachtete die Gestalt genauer. Diese Leichtigkeit, der schwungvolle Gang – das war doch ihre Mutter!
Geräuschvoll schnappte Iwa nach Luft. Das konnte nicht sein! Ihre Mutter hatte sich bereits am frühen Nachmittag auf ihr Zimmer verabschiedet, weil ein