1
Positiv zu denken bedeutet nicht, dass man immer glücklich und zufrieden sein muss. Es bedeutet, dass man auch an schweren Tagen weiß, dass es wieder bessere Tage geben wird. Mit diesem Sinnspruch eines unbekannten Yogi auf den Lippen ging ich auf die Villa Sehnsucht zu.
»Yara, bist du das wirklich? Kneif mich mal einer. Das kann doch nicht sein. Was machst du denn hier?«
Kaum dass ich die schneeweiße Villa Sehnsucht, ein Haus der Bäderarchitektur an der Binzer Promenade auf Rügen, betreten hatte, stürmte auch schon meine beste Freundin Lotte aus der Lobby des Hotels auf mich zu. Dann nahm sie mich freudestrahlend so fest in die Arme, dass mir fast die Luft wegblieb. Das alles passierte so schnell, dass ich gar nicht wusste, wie mir geschah.
Als sie mich wieder losließ, leuchteten ihre blauen Augen mit der Sonne über der Ostsee in meinem Rücken um die Wette, während sie mich so herzlich anlächelte, dass ich gar nicht anders konnte, als es zu erwidern.
»Na, ich dachte mir, ich komme dich mal wieder hier in deinem Hotel besuchen, nachdem wir uns zuletzt vor Monaten gesehen haben. Außerdem: Meer geht immer. Oder?«, versuchte ich mich in einem Scherz, um meine Angespanntheit zu überspielen.
Denn im Grunde war ich zu Lotte gekommen, da ich keinen anderen Ausweg gesehen und dringend aus Hamburg weggemusst hatte.
»Na, die Überraschung ist dir geglückt. Ich freue mich wahnsinnig, dass du zu mir auf die Insel gekommen bist. Kommt Kai auch?«, fragte sie, während sie suchend über meine Schulter sah.
»Ach, du kennst doch Kai. Der hat in seiner Kanzlei so viel zu tun, dass er nicht alles stehen und liegen lassen kann, um spontan mit mir zu verreisen. Also dachte ich mir, ich komme allein.«
Lotte legte ihren Arm um meine Schultern und zog mich in den Blauen Salon. Für gewöhnlich wurde der Blaue Salon erst am Nachmittag zum Afternoon Tea geöffnet, in dem köstliche Kuchen, Torten, Macarons und vieles mehr angeboten wurden. Alles selbstverständlich täglich frisch in der eigenen Küche zubereitet. Dazu wurden Kaffee und Tee gereicht, in den Sommermonaten auch hausgemachter Mango-Hibiskus- und Zitroneneistee.
Als kleines Mädchen war ich ständig in der Küche meines Elternhauses, hatte mit meiner Mutter und meiner Großmutter gebacken und später auch viel gekocht. Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte ich meine Liebe zum Kochen und zu gutem Essen gerne zum Beruf gemacht. Meine Eltern waren jedoch strikt dagegen, denn weder waren die Arbeitszeiten familienfreundlich noch die Gehälter erstrebenswert. Also hatte ich mich in eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten geflüchtet, nur um später als Yogalehrerin zu arbeiten.
Das Leben ging schon seltsame Wege.
Lotte bedeutete mir, an einem der freien Tische Platz zu nehmen, nachdem sie Svea Treffkorn, der Rezeptionistin, Bescheid gegeben hatte, dass sie nicht gestört werden wolle.
»Na, nun erzähl mal. Wie lange bleibst du? Hast du überhaupt Zeit für einen Urlaub? Schließlich heiratest du in drei Wochen. Das ist alles so aufregend. Felix hat sich sogar extra einen Anzug gekauft. Kannst du ihn dir darin vorstellen?« Sie lachte und schüttelte amüsiert den Kopf.
Felix war Lottes Freund. Die beiden arbeiteten in der Villa Sehnsucht, wo sie sich im vergangenen Jahr kennen- und lieben gelernt hatten, nachdem Lottes Großmutter spontan zur Kur fahren und Lotte die Leitung des Hotels üb