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Nach einer viertelstündigen Fahrt durch die geschäftigen Straßen voller Fuhrwerke hielt der Polizeitransport an einem gesicherten Hintereingang des Bellevue – einem Gebäudekomplex, der eher an die Bastille als an ein Krankenhaus gemahnte.
Die Droschke, in der Diogenes saß, hielt auf der gegenüberliegenden Straßenseite, als Ferenc ins Krankenhaus verfrachtet wurde und die Eisentüren hinter ihm zufielen.
»Zwanzig Cent, wenn Sie so gut sein wollen, Mister«, teilte der Kutscher Diogenes mit.
»Ich würde gern eine Weile warten, wenn Sie gestatten«, erwiderte Diogenes, der seine Sprechweise an denne varietur-Rhythmus der1880er anpasste. »Womöglich bedarf ich noch Ihrer Dienste.« Damit reichte er dem Mann einen Silberdollar, der sich noch eine Stunde zuvor am Broadway in der Tasche eines beleibten Herrn befunden hatte.
»In Ordnung, Chef«, sagte der Mann, mehr als glücklich, mit einem bereitwillig zahlenden Fahrgast die Zeit zu vertrödeln.
Diogenes starrte auf die schwere Metalltür, hinter der Ferenc verschwunden war. Ein höchst unglücklicher Umstand. Er hätte ihn umbringen sollen, als sich die Gelegenheit bot – seiner eigenen perversen Neugier nachzugeben hatte schon früher zu Problemen geführt.
Er bedachte die Situation. Da man Ferenc als Gefangenen ins Bellevue und nicht zur nächsten Polizeiwache gebracht hatte, wusste Diogenes, dass er in die Irrenabteilung eingewiesen wurde. Was sollte er angesichts dessen unternehmen? Er konnte immer noch versuchen, den Mann umzubringen. Das würde eine Tarnung erforderlich machen, er musste sich als Pfleger oder Putzkraft ausgeben und Zugang zur richtigen Abteilung erlangen. Nichts davon stellte ein echtes Problem dar; kritisch war nur die knappe Zeit.
Zeit … Zeit, wie wahr. Er warf einen Blick nach unten auf seine Hose und die Schuhe – die einzigen Bekleidungsstücke, die noch aus seiner eigenen Zeit stammten und die dank des Schlamms und des Mantels bisher nicht aufgefallen waren. Dabei bemerkte er unter dem Schlamm an den Hosensäumen und den Sohlen der Arbeitsstiefel ungewöhnliche Brandspuren. Er wusste, dass Ferenc es geschafft hatte, diese infernalische Maschine mit einer Art Zeitschaltuhr zu versehen, die das Portal lange genug offen hielt, damit er die Münzen beschaffen und zurückkehren konnte. Aber diese seltsamen Brandspuren zusätzlich zum Rumpeln und dem Qualm, der aus der Maschine aufstieg, wie Diogenes beobachtet hatte, als er Ferenc durch das Portal folgte …
Sein Gedankengang wurde von einer großen schwarzen Pferdekutsche, einem Landauer, unterbrochen, der vor einem anderen, für die Angestellten des Krankenhauses reservierten Eingang vorfuhr. Der Schlag sprang auf, und ein Mann in eleganter Aufmachung stieg aus. »Elegant« war noch untertrieben: Der Mann trug einen langen, schwarzen Gehrock mit gestärktem weißen Kragen, eine breite Seidenkrawatte mit Diamantnadel und eine geknöpfte Weste, auf der eine goldene Uhrenkette einen schimmernden Bogen beschrieb. An seinem linken Aufschlag war ein Orchideengesteck – eine purpurne Dendropia auf einem Farnwedel – befestigt.
Doch Diogenes war besonders an seinem bleichen Adlergesicht mit den tief liegenden saphirblauen Augen hinter der Brille mit rechteckigen Gläsern, dem hellblonden Haar und den gemeißelten Zügen interessiert, die Mitglieder seiner eigenen Familie auszeichneten. Seine Miene wirkte abwesend, abgelenkt, vielleicht auch eisig.
Diogenes wusste sofort, dass dies Professor Enoch Leng sein musste, berühmt für seine neue Methode zur Behandlung von Geisteskrankheit, der Gehirnoperation. Außerdem trug er noch einen anderen, sogar noch distinguierteren Namen: Antoine Leng Pendergast, Spross der alten Familie aus New Orleans und Urgroßonkel von Diogenes.
Er sah zu, wie der Konsultierende Chirurg hinter den Mauern des Bellevue verschwand.
Was zuvor wie eine unangenehme Entwicklung gewirkt hatte, entpuppte sich nun als schlimmstmögliche. Diogenes war sicher, dass Leng innerhalb kürzester Zeit Gaspard Ferenc kennenlernen würde, den »Verrückten«, der behauptete, aus der Zukunft zu stammen … und nach einem Mann namens Pendergast rief, der ihn retten sollte.
Nun war es sinnlos für ihn, ins Krankenhaus einzudringen. Alles hing davon ab, was Leng als Nächstes tat. Obgleich der Kutscher abwehrend meinte, das wäre nicht nötig, schnippte Diogenes ihm einen zweiten Silberdollar zu und wartete.
Es war noch keine Stunde verstrichen, als Ferenc, kaum fähig zu gehen, aus dem Angestellteneingang auftauchte und ein junger Mann ihm in Lengs Kutsche half, dicht gefolgt von Leng. Innerhalb vo