Kapitel3
Tun, was zu tun ist
Ja, mein Leben ist gesegnet. Vom ersten Moment an, als ich mich ankündigte, so erzählt meine Mama, wurde ich von ihr gewollt, ersehnt und überwältigend geliebt. Und ich liebe diese außergewöhnliche Frau, die mir immer ein Vorbild an Kraft, Stärke und Freundlichkeit ist, meine Mutti, von dem Augenblick an, als mir dies zum ersten Mal als Kind bewusst wurde. Bis heute hat sich daran nichts geändert.
Wir schmusen auch nach wie vor zusammen. Bei meiner Mama fühle ich mich immer geborgen. Mein Vater brauchte erst einen Stups, um sich mit der neuen Situation anzufreunden, weil nichts seiner sportlichen Karriere im Weg stehen sollte. Aber kaum war ich da, war ich Papas Liebling. Mein sportliches Talent habe ich von beiden geerbt. Mama war eine begnadete Basketballspielerin und spielte Tischtennis. Und mein Vater war als Profifußballer später stolz auf die Erfolge seiner Tochter als Kunstturnerin und als erfolgreiche Leichtathletin. Gott hatte da auch schon seine Finger im Spiel, auch wennER sich Zeit ließ, in mein Leben zu treten.
Als mein Vater als Fußballspieler entdeckt wurde, zogen meine Eltern nach Deutschland. Unsere liebe Oma passte in Kroatien auf meinen Bruder und mich auf, bis wir von den Eltern nachgeholt wurden. Heimat war für mich immer, wo meine Mama war. Wo wir lebten, war mir egal. Mit fünf Jahren begann für mich das neue Abenteuer.
Im Kindergarten lernte ich im Nullkommanichts die deutsche Sprache – sie wurde mein schönstes und stärkstes Ausdrucksmittel. Oder wie es im MusicalMy Fair Lady heißt: »Die Sprache macht den Menschen, die Herkunft macht es nicht.« Auch wenn Kroatisch meine Muttersprache war, konnte man von Kindheit an nie an meiner Ausdrucksweise merken, dass ich Ausländerin war. Ich spreche perfektes Hochdeutsch, mit einem kleinen badischen Akzent, denn ich wuchs in Weinheim auf. Mit Begeisterung las ich viele Bücher, mich faszinierten auch Gedichte von Rainer Maria Rilke, die hatten es mir angetan. Die Faszination für schöne Geschichten, für gute Bücher, für Sprache und Kunst ist bis heute geblieben.
Erst vor Kurzem erinnerte ich mich an eine Begebenheit aus meiner Zeit auf der Realschule, bevor ich für ein Jahr auf das Wirtschaftsgymnasium wechselte und anschließend in ein Sportinternat kam.
Unser Klassenlehrer gab nicht nur das Fach Deutsch, sondern leitete auch die Französisch-AG, die ich freiwillig belegte, weil ich als Siebenjährige mit meinem Team als Kunstturnerin nach Paris reisen durfte und die französische Sprache mich faszinierte. Leider habe ich während meiner Schulzeit auch kaum Lehrer erlebt, die mich fürs Lernen begeisterten – außer meine Grundschullehrerin Frau Müller, die ich abgöttisch liebte, und später mein Kunstlehrer – und die Sportlehrerin auf der Realschule. Ich habe nie eine enthusiastischere Lehrkraft erlebt, so wie sie im FilmClub der toten Dichter gezeigt wird.
Es freute mich, dass ich während meiner Schul- und Studienzeit immer wieder zur Klassen- bzw. Semestersprecherin gewählt wurde. Die Aufgabe übernahm ich gerne, es gefiel und gefällt mir, für andere und eine gute Sache einzustehen. Ansonsten tat ich nur das Nötigste für die Schule, denn meine ganze Konzentration galt meiner Sportkarriere.
Eines Tages teilte unser Klassenlehrer zu Beginn der Deutschstunde einen benoteten Französisch-Vokabeltest aus. Mein Test war schlecht ausgefallen, ich hatte nicht viel dafür gelernt und auch kein besseres Ergebnis erwartet. Schlimm fand ich, dass mich der Lehrer vor der gesamten Klasse niedermachte. Er sagte, und dieser Satz ist mir bis heute in Erinnerung geblieben: »Es können ja nicht alle auch etwas im Gehirn haben, wenn sie es vor allem in den Füßen haben.«
Ich war beleidigt.
Dann sollten wir einen Aufsatz schreiben. Das Thema lautete: »Was ist Mut?« Ich brauchte eine Zeit lang, um mich zu beruhigen, denn ich fand, dass es nicht richtig war, mich vor der ganzen Klasse schlechtzumachen und mich auf meine »Füße«, das sportliche Können zu reduzieren. Und ich hatte überhaupt keine Lust, den Aufsatz zu schreiben. So schrieb ich nur einen Satz, wartete, bis meine Mitschüler ihre Hefte beim Lehrer abgaben, und tat es ihnen gleich.
Der Klassenlehrer war dafür bekannt, dass er wochenlang brauchte, um Arbeiten zu korrigieren. Ich vergaß den Aufsatz, verdrängte das Ganze. Wochen später lagen plötzlich die Schulhefte mit den Aufsätzen auf dem Pult des Lehrers. Er sagte: »Heute bekommt ihr eure Arbeiten zurück. Wegen eines Aufsatzes gab es sogar eine Lehrerkonferenz. Jemand hat eine Eins bekommen, obwohl nur ein Satz in seinem Heft steht. Wir haben uns im Kollegium dazu ausgetauscht, wie das zu bewerten sei.« Alle schauten sich verblüfft an.
»›Was