1. KAPITEL
Emma sah die italienische Notarin fassungslos an. „Das muss ein Irrtum sein“, sagte sie ungläubig. „Wieso sollte Signore Fiorenza mich in seinem Testament bedacht haben? Ich war doch nur seine Pflegerin.“
„Es ist kein Irrtum.“ Francesca Rossi klopfte bezeichnend auf das umfangreiche Dokument vor ihr auf dem Schreibtisch. „Hier steht es schwarz auf weiß. Valentino Fiorenza hat wenige Wochen vor seinem Tod sein Testament geändert.“
Emma schwieg verblüfft. Achtzehn Monate lang hatte sie im Haus des Multimillionärs gewohnt und ihn gepflegt, aber nie an eine derartige Möglichkeit gedacht. „Ich begreife das nicht“, wandte sie ein. „Warum sollte er mir die Hälfte seines Besitzes hinterlassen?“
„Genau diese Frage hat auch sein Sohn gestellt“, erwiderte Francesca Rossi vielsagend. „Ich glaube, er befindet sich gegenwärtig auf dem Weg von London hierher. Da er der einzige lebende Nachkomme seines Vaters ist, hat er sicher erwartet, dass die Villa Fiorenza und der größte Teil des Vermögens seines Vaters direkt in seinen Besitz übergehen.“
„Und Sie sagten, das Erbe sei an etwas seltsame Bedingungen geknüpft?“, fragte Emma zögernd.
„Allerdings, ziemlich ungewöhnliche Bedingungen“, bestätigte die Notarin. „Wenn Sie Ihr Erbe erhalten wollen, müssen Sie innerhalb eines Monats rechtskräftig mit Rafaele Fiorenza verheiratet sein und ein Jahr mit ihm verheiratet bleiben.“
„In … einem Monat … verheiratet sein?“, wiederholte Emma stammelnd. „Für ein ganzes Jahr?“
„Ja, andernfalls fällt der gesamte Nachlass an eine ehemalige Geliebte Valentinos namens Sondra Henning. Hat er sie vielleicht Ihnen gegenüber erwähnt?“
Emma überlegte angestrengt. „Nein, ich glaube nicht. Aber er war ein sehr verschlossener Mensch und hat nur wenig von sich preisgegeben.“
Die Notarin blätterte kurz in dem Dokument, bevor sie Emma wieder ansah. „Signore Fiorenza hat verfügt, dass Sie bei der Heirat mit seinem Sohn eine Einmalzahlung von fünfzigtausend Euro erhalten und für jedes Jahr, das Sie mit Rafaele verheiratet bleiben, eine sehr großzügige, zusätzliche Summe.“
Emma schluckte. „Wie … großzügig?“
Die Notarin nannte einen unvorstellbar hohen Betrag. „Ein zu gewaltiger Batzen, um ihn einfach zu ignorieren“, meinte Emma nachdenklich, wobei ihr der letzte Anruf ihrer Schwester in den Sinn kam. Fünfzigtausend Euro zum gegenwärtigen Wechselkurs hätten Simones finanzielle Probleme zwar nicht komplett bereinigt, aber ihr dennoch wieder auf die Füße geholfen.
Francesca Rossi nickte. „Selbst wenn man die zusätzliche Zahlung außer Acht lässt, gilt die Villa als eines der schönsten Anwesen am Comer See … was ich Ihnen nicht erklären muss, denn Sie haben ja darin gewohnt. Sie wären wirklich dumm, einen derartigen Besitz auszuschlagen oder auch nur den halben Anteil daran.“
„Wie ist Rafaele Fiorenza denn? Ich meine, als Mensch?“, fragte Emma unsicher. „Ich kenne nur Fotos von ihm aus der Presse, aber sein Vater hat kaum von ihm gesprochen. Und soweit ich weiß, war er auch nicht auf der Beerdigung. Die beiden haben sich wohl nicht sehr gut verstanden.“
„Ich bin ihm noch nicht persönlich begegnet“, antwortete Francesca. „Offensichtlich ist er schon als junger Mann zum Studium ins Ausland gegangen. Inzwischen ist er ein höchst erfolgreicher Geschäftsmann, der vor allem an der Börse sein Geld macht. Tatsächlich ist er wirklich ein beliebtes Objekt der internationalen Klatschmagazine und steht in dem Ruf, ein überaus wohlhabender Playboy zu sein.“
„Ja, den Eindruck hatte ich auch.“ Emma machte ein nachdenkliches Gesicht. „Was, wenn er in die Bedingungen des Testaments nicht einwilligt? Wenn er so reich ist, warum sollte er eine ihm völlig fremde Frau heiraten wollen?“
„Zum einen geht es bei dem Gesamtnachlass um sehr viel Geld, auch für einen reichen Mann“, erläuterte Francesca. „Zum anderen hat Rafaele in der Villa einen Großteil seiner frühen Kindheit verbracht, bis er ein Internat im Ausland besuchte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er eine solche Goldmine zurückweist, ohne sich nicht wenigstens die Kandidatin angesehen zu haben, die sein Vater ihm als Braut ausgesucht hat.“
Emma sträubten sich unwillkürlich die feinen Härchen im Nacken. „Ich habe nicht gesagt, dass ich einwilligen werde, irgendjemand zu heiraten“, sagte sie sofort. „Schon gar nicht einen Mann, der nicht einmal den Anstand besessen hat, seinen sterbenden Vater zu besuchen oder sich wenigstens bei ihm zu melden.“
„In Anbetracht der Tatsache, dass er während der letzten zehn Jahre kaum oder gar keinen Kontakt mit seinem Vater hatte, könnte es für Sie schwierig werden, Ihre Beziehung zu Valentino Fiorenza zu erklären“, gab die Notarin zu bedenken. „Ich weiß, dass er Sie als Krankenpflegerin eingestellt hat, aber die Presse hat Ihre Rolle oft ganz anders gesehen, sodass Sie auch bei Rafaele damit rechnen müssen.“
Eine Anspielung, die in Emma unliebsame Erinnerungen weckte. Als sie die Stelle als Valentino Fiorenzas Krankenpflegerin angetreten hatte, war sie nicht darauf vorbereitet gewesen, in welchem Ausmaß die Presse ihre Beziehung zu dem Millionär durch den Schmutz ziehen würde. Jedes Mal, wenn sie ihn in der Öffentlichkeit begleitete, standen Paparazzi bereit, um Fotos zu schießen und Emma als Goldgräberin darzustellen, die um des Geldes willen bereit war, sich einen Mann zu angeln, der dreimal so alt war wie sie. Schaudernd dachte sie an das letzte Foto in der Presse. Schon sehr geschwächt von seinem fortschreitenden Knochenkrebs, aber zu eitel und stolz, um einen Stock zu benutzen, war Valentino zunehmend auf Emmas Stütze angewiesen gewesen. Der Fotograf hatte genau den Moment abgepasst, als Emma den Arm um die Taille des alten Mannes legte, um ihn am Sturz zu hindern … was auf dem Foto wie eine sehr vertraulic