Kapitel Schritt 1
Was will ich überhaupt – und was will ich nicht?
Die Frage, welche Immobilie man sucht, Haus oder Wohnung – neu oder gebraucht, und was man am Markt erhält, klaffen oft weit auseinander. Wenn als Antwort darauf das wesentliche Ziel das Wohnen in einer eigenen Immobilie ist, dann sollte man hinterfragen, welchen Gründen eine mögliche Festlegung auf einen bestimmten Immobilientyp entspringt. Viele Menschen, die ein eigenes Haus suchen, wollen vorrangig einen Garten haben. Viele Gärten von Reihenhäusern aber bieten kaum Privatheit. Und Kinder spielen nur in sehr jungen Jahren ausschließlich im eigenen Garten. Sie beginnen sehr schnell, auch die Umgebung zu erkunden. Solche Zusammenhänge sollte man sich klar machen, denn je offener man für Immobilienlösungen ist, desto breiter angelegt kann man natürlich suchen.
Ein günstiges Haus in guter Lage mit ausreichender Zimmeranzahl und in gutem Zustand ist natürlich der Traum von vielen Menschen, aber das ist kaum zu finden. Denn die Verkäufer von Immobilien möchten sehr oft den maximalen Preis erzielen, den sie erhalten können, und sie verkaufen die Immobilien zudem häufig über die immer gleichen Immobilienplattformen im Netz, ob nun mit oder ohne Makler. Das heißt umgekehrt: Alle Interessenten suchen auf den gleichen Plattformen nach teuren Immobilien, die dadurch oft noch teurer werden, weil die Konkurrenz um die Angebote sehr groß ist.
In vielen Ballungsräumen sind vor allem Häuser längst kaum noch erschwinglich. Die Preise gehen teils in vollkommen unverhältnismäßige Höhen, und die Bundesbank spricht in bestimmten Regionen bereits von einer Immobilienblase.
Woran liegt das? Hamburg etwa hatte in den 1960er-Jahren zeitweise mehr Einwohner als heute. Die Antwort, warum Hamburg heute trotzdem unter Wohnungsmangel leidet, ist sehr einfach: Es liegt am gestiegenen Flächenbedarf pro Einwohner. Wo früher eine Familie mit drei Kindern in einer engen Wohnung lebte, lebt heute oft gerade noch ein Paar, wenn nicht sogar ein Single. Dass der Wohnflächenbedarf gestiegen ist, liegt aber nicht nur an den gestiegenen Wohnflächenbedürfnissen der Menschen, sondern auch an gesellschaftlichen Veränderungen. Wenn man sich klarmacht, dass in urbanen Räumen heute etwa jede zweite Ehe geschieden wird, dann wird schon allein nach jeder dieser Trennungen natürlich in der Regel eine zusätzliche Wohnung benötigt. Diese wichtigen Freiheiten von Menschen bedeuten auch einen stark erhöhten Flächenbedarf – selbst bei gleicher oder sogar geringerer Bevölkerungszahl.
Auf der anderen Seite sind Bauflächen insgesamt begrenzt. Auch die Gemarkungsgrenzen von Hamburg etwa enden nun einmal dort, wo Niedersachsen und Schleswig-Holstein beginnen. Das heißt, die Ressource an Grundstücken ist endlich. Und Werte an Märkten, die mit endlichen Ressourcen handeln, kennen fast immer dauerhaft nur eine Richtung: nach oben. Besonders drastisch lässt sich das am Beispiel von München zeigen:
Der frühere Oberbürgermeister von München und spätere Bundesbauminister sowie SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel hat in einer Publikation 2017 dargelegt, dass die Baulandpreise in München von 1950 bis 2017 um sagenhafte 39 390 Prozent gestiegen sind. Das ist kein Schreibfehler, Sie haben richtig gelesen: fast 40 000 Prozent. Man kann im Grundstücksmarkt von München also nachweislich von einer vollkommen unkontrollierten Preisexplosion sprechen. Wäre das Gleiche im Bereich von Trinkwasser oder Brot passiert, wäre es sicher zu schweren sozialen Unruhen gekommen, weil schlichtweg die Existenz von Menschen bedroht gewesen wäre. Bundesweit sind die Bodenpreise zwischen 1962 (Beginn der bundesweiten Baulandpreiserfassung) und 2017 immerhin um 2 308 Prozent gestiegen. Der Verbraucherpreisindex hingegen hat sich in dieser Zeit nach Angaben des Statistischen Bundesamts nur um 303,8 Prozent erhöht.
Die meisten Städte und Gemeinden stehen vollkommen hilflos vor dieser Entwicklung. Nur sehr wenige Städte, wie etwa Ulm, haben sehr früh, schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit Baulandpreissteuerungen begonnen, indem sie sehr viele Flächen aufgekauft haben, um sie nicht den Spekulationen des Marktes zu überlassen. Andere Städte haben das völlig versäumt und stehen heute vor der Situation, dass sich junge Familien eine Immobilie auf ihren Gemarkungsgrenzen schlicht nicht mehr leisten können. Noch schlimmer: Einige Städte haben ihren Grundstücks- und Immobilienbestand sogar noch Anfang des 21. Jahrhunderts einfach verkauft.
Wenn die Politik die immer weiter ins Extrem steigenden Baulandpreise steuern wollte, könnte sie das natürlich tun, sogar relativ einfach. Ein Ansatz dazu wäre etwa, Wertzuwächse von Grundstücken nur im Rahmen der allgemeinen Inflation zuzulassen und alle weiteren Wertzuwächse im Verkaufsfall sehr hoch zu besteuern. Das würde die Märkte sofort beruhigen.
Das wird aber nicht passieren, weil die Interessen und Interessenverbände derjenigen, die Grundwerte besitzen und diese Werte weiter steigen sehen wollen, sehr viel stärker sind als die Stimmen derjenigen, die noch nach Eigentum suchen. Insofern sollten Sie sich auf einen weiterhin harten Immobilienmarkt einrichten, mit weiter steigenden Preisen, der Ihnen viel Kraft und Nerven abverlangen wird.
Es ist in dieser schwierigen Situation immer hilfreich, sich klarzumachen, was man hat: Wenn man aktuell in einer Mietwohnung wohnt und keine Kündigung des Mietverhältnisses vorliegt, kann man immerhin mit Ruhe nach einer Immobilie suchen. Natürlich gibt es eine einflussreiche Finanzindustrie, die einem unablässig darlegt, ohne eigene Immobilie sei das Leben praktisch sinnlos. Ein Leben ohne eigene Immobilie ist aber keineswegs sinnlos. Es gibt mindestens so viele glückliche Mieter wie glückliche Eigentümer. Glück hängt nicht an einer Immobilie. Glück hängt an Gesundheit – der eigenen und derjenigen der Menschen im persönlichen Umfeld –, es hängt an stabilen sozialen Netzen, an sinnerfüllender Arbeit und anderen Dingen mehr, aber ganz sicher nicht an einer Immobilie. Ganz im Gegenteil: Ungezählte Bauprojekte haben schon stabil geglaubte Ehen völlig zerstört, weil die Partner sich nicht darüber im Klaren waren, vor welcher immensen Herausforderung sie wirklich standen und am Ende Belastungen in ihre Beziehung trugen, die diese nicht aushielt. Viele Bauherren und Bauherrinnen berichten von Grenzerfahrungen auch in ihrer Beziehung beim Bauen. Wenn Baumängel auftauchen, man vielleicht nicht bereit ist, Rechnungen zu bezahlen, die Bauarbeiten dann eingestellt werden, Mietzahlungen und Darlehenszahlungen zeitlich unabsehbar parallel laufen und Anwälte ins Spiel kommen, weiter Gutachter, Gerichtskosten, Gutachterkosten, wenn mitunter über Jahre ungeklärte Situationen entstehen, ohne dass eine Immobilie fertiggestellt ist oder gar bezogen werden kann, sind das Belastungen, die viele Beziehungen gar nicht kennen und vielfach auch nicht auffangen können.
Eine kluge Frage im Zusammenhang mit einem Immobilienkauf ist daher: Was will ich eigentlich nicht, und zwar nicht nur bezogen auf die Immobilie selbst, etwa ihre Lage, ihren Preis, ihren Zustand? Vielleicht will man zum Beispiel einfach keinen überbordenden Stress im Zusammenhang mit einem Immobilienkauf. Vielleicht will man sich überkomplexe Verträge und Vertragsverhältnisse unter hohen rechtlichen und finanziellen Risiken einfach nicht antun. Vielleicht will man von Maklern und Bauträgern auch nicht als Bittsteller nach Gutsherrenart behandelt werden, sondern sucht einen fairen Deal unter fairen Bedingungen. Auch solche Überlegungen gehören dazu, wenn man sich auf die Suche nach einer eigenen Immobilie macht.
Und es gibt einen weiteren, sehr wichtigen Aspekt: Wer die Suche nach einer Immobilie als belastend, als Druck erlebt, etwa weil Kinder bald eingeschult werden und bis dahin alles erledigt sein muss, der wird eine eher sehr frustrierende Zeit erleben. Wer die Suche nach einer Immobilie dagegen als positive Herausforderung angeht, von der klar ist, dass sie Jahre dauern kann, weil es auch Rückschläge geben wird, der wird mit einer ganz anderen Einstellung an die Sache herangehen. Der wird nicht zulassen, dass die Immobiliensuche den ganzen Alltag überschattet oder gar eine Beziehung belastet; sondern der wird der Immobiliensuche klare Grenzen setzen und sie nicht sein Leben dominieren lassen, wird mit Gelassenheit und nicht mit...