: Marica Bodrozic, Mareike Fallwickl, Judith Poznan, Christine Koschmieder, Stefanie Jaksch, Ann Cotte
: Maria-Christina Piwowarski
: Und ich - 20 Geschichten über Wendepunkte des Lebens | Mit Gabriele von Arnim, Zsuzsa Bánk, Marica Bodro?i?, Isabel Bogdan, Ann Cotten, Mareike Fallwickl, Julia Friese, Olga Grjasnowa, Claudia Hamm, Stefanie Jaksch, Rasha Khayat, Christine Koschmieder, ...
: Ullstein
: 9783843732567
: 1
: CHF 16.10
:
: Anthologien
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit literarischen Beiträgen von Gabriele von Arnim, Zsuzsa Bánk, Marica Bodro?i?, Isabel Bogdan, Ann Cotten, Mareike Fallwickl, Julia Friese, Olga Grjasnowa, Claudia Hamm, Stefanie Jaksch, Rasha Khayat, Christine Koschmieder, Jarka Kubsova, Daria Kinga Majewski, Maria-Christina Piwowarski, Judith Poznan, Slata Roschal, Caca Savi?, Clara Schaksmeier und Simone Scharbert Unsere Leben verlaufen längst nicht so linear, wie Bücher sie oft erzählen. Spätestens in der Lebensmitte verlieren sich viele Menschen im Dickicht vergangener und zukünftiger Möglichkeiten, finden sich plötzlich in Sackgassen wieder, wo eigentlich Weggabelungen sein sollten. Insbesondere Frauen sehen sich mit gesellschaftlichen Hindernissen konfrontiert, wenn sie von vorgezeichneten Pfaden abweichen und einen Neuanfang wagen.   Die Anthologie Und ich - erzählt von Momenten des Innehaltens, in denen alles auf den Kopf gestellt wird, um am Ende wieder geradegerückt zu werden. 20 Autorinnen schildern darin ganz unterschiedliche Lebenswege, die früher oder später jedoch alle in einem Wendepunkt mündeten, in einer alles verändernden Entscheidung. 20 Texte, die inspirieren und ermutigen, aber auch verstören und aufrütteln. Und die zeigen, dass es nie zu spät ist, dem eigenen Leben eine neue Richtung zu geben.  »Von geraden Straßen muss man irgendwann abbiegen, um glücklich dort anzukommen, wo man nicht hinwollte. Die Geschichten dieser wunderbaren Anthologie erzählen davon.« Gabriele von Arnim

Jarka Kubsova machte 1996 das Examen zur Krankenschwester, stieg vom System desillusioniert aber schon bald darauf aus dem Beruf wieder aus. Sie studierte in Hamburg Soziologie und Sozialökonomie. Nach einem Volontariat bei der Financial Times Deutschland war sie dort als Reporterin tätig, sowie später beim Stern und bei der ZEIT. Sie ist Ghostwriterin mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Marica Bodrožić
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Die Grenze


Es ist Frühling. Für die anderen Menschen ist es Frühling. Ich bin auch da, aber ich bin in einer anderen Jahreszeit, nicht in diesem äußeren Frühling, ich bin in einem nur für mich stillgelegten Frühling, der mich zwar kennt und zu mir spricht, aber von der äußeren Jahreszeit trennt und zugleich mit ihr verbindet. – Wie noch nie. Der Winter war lang. Ich habe lange auf den Frühling gewartet. Er wohl auch auf mich. Jetzt ist er da. Und ich kann weder stehen noch gehen. Ich kann meinen Körper nicht bewegen. Ich kann nur liegen. Gerade kann ich nur liegen und denken, der Frühling ist da, und ich kann nicht mit meinen Füßen zu ihm hingehen und die Mitteilungen seiner Knospen lesen. Aber ich liege, immerhin kann ich liegen und zu den Knospen hinfühlen. Das ist das, was ich gerade kann. Ich kann liegen. Und ich kann fühlen. Ich bin zufrieden, dass ich liegen und fühlen kann. Ich bin ein liegender Empfindungsraum. Und ich bewege mich dabei nicht einen Millimeter, ich versuche, ganz still und leise zu sein, alles zu bemerken, was auch die winzigste Rührung meines Körpers nach sich zieht. Noch nie zuvor habe ich wie in diesem Moment verstanden, dass es wunderschön ist, Füße zu haben. Ich hatte immer meine Füße. Ich habe mir meine Füße oft angesehen und auch die Füße anderer Menschen. Irgendwie habe ich immer eine Beziehung zu Füßen und zu Zehen gehabt. Eine Liebesbeziehung, hundert Prozent. Deswegen fiel es mir auf, dass die indischen Weisen immer von den Füßen her verehrt werden, man legt ihnen aus Liebe für ihre Weisheit sogar Blumen auf die Füße. Aber ich wusste nicht, was ich jetzt weiß. Ich weiß jetzt etwas, was ich auch vorher hätte wissen können, aber ich habe es mir nie gesagt. Ich konnte immer mit meinen Füßen gehen. Jetzt kann ich nicht mit ihnen gehen, obwohl sie doch bestimmt noch da sind. Mein rechtes Bein spüre ich komischerweise gar nicht. An der Stelle, an der es eigentlich sein müsste, scheint mir ein Klotz untergelegt worden zu sein, vielleicht als Stütze. Sie haben mich aufgeklärt. Sie haben mir in die Augen gesehen und gesagt, es könne vorkommen, dass man irgendetwas am eigenen Körper nach dem Eingriff nicht mehr oder nie wieder spüre. Sie nannten es Eingriff, und ich sehe es auch so, sie haben mit ihren Händen in mich hineingegriffen, sie haben einen Eingriff gemacht, der mir geholfen hat, noch hier zu sein, in diesem Frühling, in diesem Jahr, das die Grenze meines Lebens ist. Ich bin deshalb noch da, und ich bin dennoch aus meiner Gattung herausgefallen. Ich spüre mein rechtes Bein nicht, ich sehe meine Füße nicht einmal, geschweige denn, dass ich mit ihnen gehen kann. Aber ich hoffe, dass meine Füße mich nicht vergessen haben, während ich hier liege und sie nicht sehen kann und mich daran erinnern muss, dass ich doch schon immer Füße hatte. Seit meiner Geburt, genau genommen. Vorher war ich ja kein Mensch. Aber jetzt bin ich ein Mensch. Meine Füße gehören zu meinem Menschsein. Oder etwa nicht? Ich kann nicht gehen und bin trotzdem noch ein Mensch, ich habe ein Wesen, ich fühle das, ich bin dieses Wesen. Ich liege hier in meinem Wesen-Sein und bin ein unermesslich großes Auge, das seine Verbündeten in allem Lebendigen sucht. Im Baum. Vor dem Fenster. Im Wind. Den ich nicht höre, aber ich sehe ihn im Wipfel der Rotbuche. In den Wolke