»Ich dachte immer, es wäre viel besser, eine Tür einzutreten statt Zeit zu vergeuden, um den passenden Schlüssel zu suchen und dann aus mangelnder Ruhe und Gelassenheit das Schlüsselloch nicht zu finden […]. Sechs Monate an spektakulären und schonungslosen Schlägereien an der Seite der Weisen und Gelehrten der Katas habe ich in Japan gebraucht, bevor ich eines Tages nach Atem ringend, vollkommen erledigt und entnervt vor einer letzten, zu mächtigen Tür zum Halten kam, um wutschnaubend endlich den Schlüssel zu ergreifen, der mir schon seit Langem hingehalten wurde, von einem der alten Meister des Kōdōkan mit einem behutsamen Lächeln«1.
Yves Kleins künstlerischer Parcours scheint sich in diesen wenigen Zeilen aus denGrundlagen des Judos zu kondensieren. Die Erfahrung, die Klein hier schildert, entspricht jenem eines guten Katas, sprich der von den Übenden zu erlernenden festen Abfolge von Bewegungstechniken, die allgemeine Prinzipien verschiedener japanischer Kampfkünste (budō) und ihrer konkreten Ausführung in einer Kampfsituation darstellen. Dabei geht es nicht um eine leidenschaftslose Wiederholung von Bewegungen und Techniken, sondern darum, einen körperlich-geistigen Zustand zu erreichen, eine tätigesensibilité, die sich jenseits der Dualismen Kämpfer-Gegner, Ich-Du, Subjekt-Objekt, jenseits des Gegensatzes von Himmel und Erde situiert.
Genau diese Sensibilität macht aber auch diepneumatische Epoche aus, wenn wir sie nicht schlicht emphatisch als das Eintreten eines künstlerischen Zeitalters betrachten, das in Yves Klein und seiner Kunst seine unaufhebbare Mitte hat, sondern als Schöpfungszustand, bei dem die Kunst eine mehrdimensionale Relation mit dem Sinn unterhält. Die von Klein angestrebte und vielleicht sogar erreichte Immaterialisierung, die im I.K.B. ihre Apotheose erfährt, hat unter dieser Perspektive ihren Ursprung sowohl in einer Geschichte der figurativen Kunst und der Menschheit, deren Erzählung zu einem (neuen) Ende kommt, als auch in einer singulären »postsignifikativen Sinnkultur«2, welche auf Grenzüberschreitung ausgerichtet ist.
Doch welche Grenzen wurden überschritten? Die Frage lässt sich vielleicht am besten exemplarisch mit Kleins Arbeit am Blau beantworten. 1956 ist dafür das entscheidende Jahr. Nach etwa einem Jahr des Experimentierens erfindet Klein mit Hilfe von Edouard Adam ein eigenes Ultramarinblau (das spätere International Klein Blue), eine Farbe, die die Eigenschaft der Helligkeit und der Tiefe, der Immersivität und der unendlichen Distanz, in sich vereinigt.Coincidentia oppositorum, also: keine Grenzüberschreitung? Oder harmonische Vereinigung? So philosophisch solche Fragen klingen, so unbestreitbar lässt sich eine doppelte Tendenz in Yves Klein nachweisen: Einerseits will seine Kunst (und vielleicht auch er selbst), wie McEvilley zurecht bemerkte, ahistorisch sein,3 und sich daher außerhalb des Werdens in Sonderstellung positionieren, andererseits