2 LEHRER – ANDERS!
Durchschnittlich wird jeder Mensch im Lauf seiner Schulzeit von etwa fünfzig Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet. An wie viele Lehrer können Sie sich noch erinnern, wie viele davon waren gute Lehrerinnen und wie viele schlechte Lehrer? Vielleicht fallen einem auf die Schnelle noch zehn Lehrerinnen und Lehrer namentlich ein. Davon hat man drei, vier noch positiv in Erinnerung, den Rest wohl negativ.
Das Spannende an diesem Gedankenexperiment ist nicht, dass es gute und schlechte Lehrer gibt – in jeder Profession gibt es diese Gruppen. Interessanter ist vielmehr, dass der Großteil der Lehrerinnen und Lehrer, die uns unterrichtet haben, aus unserem Gedächtnis komplett verschwunden ist, wohingegen eine Handvoll auch Jahrzehnte später noch in Erinnerung bleibt. Wie schaffen es diese Lehrkräfte, zehn, zwanzig, dreißig Jahre, manche sogar ein Leben lang, im Gedächtnis von Schülerinnen und Schülern zu bleiben? Gerade bei den guten Lehrern weiß man den Namen noch, kann sich an einzelne Unterrichtsstunden erinnern, und selbst einzelne Worte, die ein solcher Lehrer an einen als Schüler gerichtet hat, sind noch präsent.
Einer von uns beiden bekam bei einem Wiedersehen mit einer Gruppe von ehemaligen Schülerinnen und Schülern zehn Jahre nach dem Abitur einen Zettel gezeigt, der kaum noch lesbar und mit vielen Löchern versehen war, die durch das Anstecken an eine Pinnwand entstanden sind. Darauf stand:[31] »Weiter so, Fabian! Du bist auf einem guten Weg!« Es handelte sich um einen Korrekturzettel, der in ein Heft geklebt worden war, um Fabian direkt anzusprechen – sicherlich nicht das beste Feedback aller Zeiten. Aber für Fabian war der Korrekturzettel dennoch eine Würdigung und Wertschätzung, die ihm noch Jahre später Kraft gibt – so sein Kommentar zu diesem Zettel.
Für den anderen von uns ist sein »alter Chemielehrer« immer Vorbild dafür gewesen, wie man junge Leute motivieren kann, wie aktuelle Themen im Unterricht unmittelbar besprochen und eingeordnet werden können und wie man auch mal »fünfe gerade« sein lassen kann. Dieser Lehrer war eine echte Quelle der Inspiration und Motivation, denn es ging in etlichen Unterrichtsstunden nicht um Chemie, sondern um Politik, Geschichte und Demokratie!
Man muss sich an dieser Stelle vor Augen führen, dass die guten Lehrerinnen und Lehrer nicht besser gestellt waren als alle anderen Lehrkräfte: Sie mussten dieselben »Chaoten« unterrichten, hatten unter derselben Bildungspolitik zu leiden, kämpften mit denselben technischen Herausforderungen, mussten sich mit denselben Eltern verständigen und hatten auch nicht mehr Zeit als alle anderen. Und dennoch schafften sie etwas, was den meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen nicht gelungen ist: junge Menschen nachhaltig zu prägen. Was ist das Geheimnis ihres Erfolges?
Leider werden in der Bildungspolitik solche Fragen nicht diskutiert, schon gar nicht, wenn es um die Lehrerbildung geht. Auch hier dominiert wie nahezu in allen bildungspolitischen Feldern der Blick auf die Strukturen: mehr Personal, mehr Technik, mehr Geld. So wichtig Strukturen sind und so viel in diesem Bereich auch erreicht wurde, sie allein führen nicht dazu, dass sich gute Lehrer entwickeln können. Ganz im Gegenteil: Empirische Studien zeigen immer wieder, dass die Lehrerbildung im Durchschnitt nur einen geringen Effekt auf die Unterrichtsqualität hat. Offensichtlich bilden sich Lehrkräfte woanders mehr als in den dafür vorgesehenen Strukturen. Noch schlimmer: Seit Jahren steigt die Zahl derer, die eines Tages mit viel Enthusiasmus gestartet sind, dann aber doch vom Alltag überrollt werden. Die Burn-out-Quote unter Lehrerinnen und Lehrern ist hoch, und der einzige Ausweg, um den Herausforderungen des Schulalltags noch gewachsen zu bleiben, ist für viele die Teilzeit.[32] Nicht wenige