Ein Wort zur Erklärung
Ich begegnete dem wunderlichen Fremden, von dem ich erzählen will, in Warwick Castle. Drei Dinge gefielen mir an ihm besonders: seine aufrichtige Einfachheit, seine enorme Sachkenntnis, was alte Rüstungen betraf, und die Geruhsamkeit unserer gemeinsamen Stunden – er bestritt die Unterhaltung nämlich im Alleingang. Als bescheidene Menschen bildeten wir zwei wie von selbst das Schlusslicht der Herde, die durch das Schloss geführt wurde, und was er sagte, weckte sofort mein Interesse. Während er sprach – leise, gefällig, wortgewandt –, schien er immer wieder unmerklich aus dieser Welt fortzutreiben, in eine ferne Epoche und ein längst vergessenes Land; und bald war ich von seinen Geschichten derart verzaubert, dass ich mir vorkam wie ein Wandler zwischen den Schemen und Schatten, dem Staub und dem Schimmel einer grauen Vorzeit, im Gespräch mit einem Relikt aus ebendieser Ära. So wie ich von meinen engsten Freunden und Feinden oder vertrautesten Nachbarn sprechen würde, erzählte der Mann von Sir Bedivere, Sir Bors de Ganis, Sir Lancelot vom See, Sir Galahad und all den anderen Größen der Tafelrunde – und wie alt, steinalt, unfassbar alt, verblichen, vertrocknet, vermodert und vergreist er mit der Zeit dabei aussah! Irgendwann fragte er mich beiläufig, als ginge es um das Wetter oder irgendein ähnlich belangloses Thema: «Von Seelenwanderung haben Sie bestimmt schon gehört; wussten Sie, dass auch Epochen und Körper den Ort wechseln können?»
Ich verneinte, doch im Grunde schien er auf meine Antwort ohnehin keinen Wert zu legen (es war also genau wie bei Gesprächen übers Wetter). Einen Augenblick herrschte Schweigen, das sogleich vom Leierton des besoldeten Cicerone durchbrochen wurde: «Altertümliches Kettenhemd aus dem sechsten Jahrhundert – Zeit von König Artus und seinen Rittern der Tafelrunde; soll Sir Sagramor dem Gierigen gehört haben. Bitte beachten Sie das runde Loch links auf Brusthöhe; seine Herkunft ist ungeklärt, man nimmt an, dass es von einem Schuss herstammt, der nach Erfindung der Feuerwaffen eventuell mutwillig von einem von Cromwells Soldaten abgegeben wurde.»
Mein neuer Bekannter lächelte – kein Lächeln von heute, sondern eines, das bestimmt schon vor Jahrhunderten aus der Mode gekommen war – und murmelte wie zu sich selbst: «Wisset, ich sah’s geschehn», bevor er nach einer Pause hinzufügte: «Ich habe nämlich geschossen.»
Als ich mich von der Überraschung erholt hatte, die mich bei dieser Bemerkung wie ein Stromschlag traf, war er weg.
Abends saß ich stundenlang im «Warwick Arms» am Kamin und hing einem Traum von alten Zeiten nach, während der Regen an mein Fenster trommelte und der Wind um die Traufen und Ecken heulte. Zwischendurch warf ich immer wieder einen Blick in das hinreißende Buch des alten Sir Thomas Malory3, labte mich an seinem Göttermahl aus Wundern und Abenteuern, sog den Duft der altertümlichen Namen ein und träumte weiter. Als es endlich Mitternacht war, las ich als Schlummertrunk noch eine Geschichte, und zwar folgende:
Wie Sir Lancelot zwei Riesen erschlug und eine Burg befreite4
Mit einem Mal stürzten da zwei große Riesen auf ihn los, in allen Stücken außer dem Kopf wohl gewappnet, und führten zwei fürchterliche Keulen in den Händen. Sir Lancelot hob seinen Schild vor sich und wandte den Schlag des einen Riesen ab und spaltete ihm mit seinem Schwert den Kopf entzwei. Als sein Genosse das sah, rannte er wie besessen davon, aus Furcht vor den schrecklichen Streichen, und Lancelot mit all seiner Gewalt hinter ihm her und traf ihn an der Schulter und spaltete ihn bis zum Nabel. Dann ging Sir Lancelot in die Halle, und da traten vor ihn sechzig Damen und Fräulein, und alle knieten vor ihm nieder und dankten Gott und ihm für ihre Befreiung; denn, Herr, sagten sie, die meisten von uns sind hier sieben Jahre ihre Gefangenen gewesen, und wir haben allerhand Seidenarbeiten verfertigt, um unsern Unterhalt zu finden, und wir sind alle von Geburt sehr edle Frauen, und gesegnet sei der Tag, Ritter, an dem du geboren bist; denn du hast die tapferste Tat getan, die je ein Ritter in dieser Welt tat, des wollen wir geden