Einleitung
Schlaf und Psyche gehören zusammen. Wie Schwarz und Weiß, Plus und Minus, Yin und Yang bilden sie eine Einheit. Denn ist der Schlaf unruhig, macht das die Psyche instabil. Ist die Psyche aufgewühlt, stört das den Schlaf. Umgekehrt ist guter Schlaf nur möglich, wenn die Psyche zufrieden ist. Und erholsamer Schlaf wiederum stabilisiert die Psyche. Sie sehen schon: Die beiden gibt es nur im Doppelpack. Aus diesem Grund habe ich mich sowohl mit dem Schlaf als auch der Psyche sehr intensiv auseinandergesetzt und die Wechselwirkungen zwischen ihnen eingehend erforscht. Als Psychiaterin und Schlafmedizinerin begegne ich täglich Menschen, die den Kampf zwischen ihrer Psyche und ihrem Schlaf nicht mehr aushalten. Einen Kampf, in dem es leider keine Gewinner gibt – der Mensch verliert, weil seine Gesundheit leidet. Wie bei der Frau, die einmal in meine Sprechstunde kam.
Sie war im mittleren Alter, sympathisch, freundlich und gepflegt. Bisher hatte sie ihr Leben voller positiver Energie gut gemeistert. Sie hatte einen Ehemann, zwei Kinder, ein Haus – nach außen wirkte alles perfekt. Doch seit einigen Monaten litt die Frau unter schweren Schlafstörungen. Sie tat nachts kein Auge mehr zu und fühlte sich tagsüber kraftlos und erschöpft.
Bei unserer ersten Begegnung erzählte sie mir, dass sie nie eine richtig gute Schläferin gewesen war, aber dass es zu ihren Schlafstörungen erst kam, als ihr Mann sie überraschend verlassen hatte. Er sagte ihr, er hätte sich in eine andere Frau verliebt und wolle sich trennen. Sie hätten sich als Paar entfremdet. Für meine Patientin brach eine Welt zusammen. Sie fühlte sich verlassen und sah keine Perspektive mehr.
Was ihren ohnehin schon unruhigen Schlaf betraf, begann mit der Trennung ein Teufelskreis. Die Frau schlief noch schlechter, grübelte im Bett stundenlang und kämpfte in der Nacht sogar mit Suizidgedanken. Tagsüber litt sie unter schmerzhaften Rückenverspannungen und zunehmender Erschöpfung. Weil sie es musste, schleppte sie sich jeden Tag zur Arbeit, doch dort begann sie aufgrund der Müdigkeit Fehler zu machen. Sie kam zu spät, war leicht reizbar und vergaß Termine. Ihr Chef sprach sie auf die Fehler an, und sie machte Überstunden, um diese auszubügeln, ließ dafür ihre Kinder warten.
Die Angst, vor lauter Müdigkeit nicht mehr arbeitsfähig zu sein oder ihre Kinder nicht mehr versorgen zu können, machte ihre Nächte noch schlimmer. Nach Monaten der Schlaflosigkeit schleppte sich die Frau mit letzter Kraft durch den Tag. Doch ihre Fassade erhielt sie lange aufrecht. Bis der Chef sie erneut ansprach und sie förmlich zusammenbrach. So kam sie zu mir.
Die Geschichte dieser Frau ist nur ein Beispiel von vielen. 2022 gaben 43 Prozent der Menschen in einer deutschlandweiten Umfrage an, in den vergangenen zwölf Monaten unter Schlafproblemen gelitten zu haben. Sie konnten schlecht ein- oder nicht durchschlafen, manche lagen nächtelang wach. 20 Prozent der 18- bis 31-Jährigen haben laut Robert Koch-Institut Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten. Sogar 22 Prozent der 11- bis 17-jährigen Jugendlichen berichten von Schlafschwierigkeiten. Mit dem Älterwerden verschlechtert sich der Schlaf eher noch: Während etwa 20 Prozent der Menschen in ihren Dreißigern schlecht schlafen, sind es im mittleren Lebensalter zwischen 40 und 49 Jahren schon 25 Prozent. Ab 50 Jahren schläft statistisch jeder Dritte schlecht.
Das Max-Planck-Institut für Psychiatrie berichtet, dass die meisten nur von Zeit zu Zeit schlecht schlafen – und zwar immer dann, wenn das Leben schwierig ist.1 Wenn es Probleme in der Familie gibt oder Stress bei der Arbeit, wenn eine nahestehende Person gestorben oder jemand arbeitslos geworden ist. Auch die Trennung vom Partner, wie sie meine Patientin erlebt hat, kann der Auslöser für Schlafstörungen sein.
Was viele nicht wissen: Psychische Belastungen und Schlafstörungen beeinflussen sich gegenseitig. Einerseits können Lebenskrisen, Stress und psychische Erkrankungen die Ursachen für Schlafstörungen sein. Andererseits kann es passieren, dass schlechter Schlaf psychische Probleme auslöst oder verstärkt. Natürlich gibt es