VOM ALLTAGSBEWUSSTSEIN ZUM KERN DER ÜBUNG
Gestern bekamen wir Besuch: Allen schaute mit seinem Sohn Joey bei uns vorbei. Groß ist Joey geworden! Mit seinen sieben Jahren spricht er bereits fließend Französisch und Englisch – und etwas Slang von der Straße.
Der Unterschied zwischen dem Erziehungsstil hier im Westen und dem bei uns zuhause in Vietnam ist beträchtlich. »Ein Kind braucht Freiheit in seiner Entwicklung« – dies ist hier die vorherrschende Einstellung der Eltern. In den zwei Stunden, die ich mich mit Allen unterhielt, musste er Joey ständig im Auge behalten. Joey spielte und redete ununterbrochen, störte uns dauernd, so dass es kaum möglich war, ein normales Gespräch zu führen. Ich gab ihm ein paar Bilderbücher, aber er schaute sie nur flüchtig an und warf sie gleich wieder beiseite. Wieder unterbrach er unser Gespräch, forderte ständig unsere Aufmerksamkeit.
Später ging er dann nach draußen, um mit einem Nachbarkind zu spielen. Ich fragte Allen: »Ist es einfach, mit einer Familie zu leben?« Allen antwortete nicht direkt. Seit der Geburt von Ana vor einigen Wochen, sagte er, habe er kaum richtig schlafen können. Nachts weckt Sue ihn auf und bittet ihn – da sie selbst zu müde zum Aufstehen ist – nachzusehen, ob Ana noch atmet. »Ich stehe also auf, schaue nach der Kleinen, gehe wieder ins Bett und schlafe weiter. So geht das manchmal zwei- bis dreimal in einer Nacht.«
»Findest du das Leben als Familienvater einfacher als das eines Junggesellen?«, fragte ich ihn. Er schwieg. Aber ich verstand. So stellte ich ihm eine weitere Frage: »Viele Leute behaupten ja, dass man mit einer Familie weniger einsam ist und mehr Sicherheit genießt. Siehst du das auch so?« Allen nickte und murmelte etwas vor sich hin.
Schließlich sagte Allen: »Weißt du, ich glaube, ich habe eine Möglichkeit gefunden, wie ich jetzt viel mehr Zeit für mich haben kann. Früher habe ich meine Zeit ganz anders betrachtet: sie schien mir aus lauter verschiedenen Abschnitten zu bestehen. Einen Teil hatte ich für Joey reserviert, einen anderen für Sue, dann gab es den, wenn ich mich mit ihr gemeinsam um Ana kümmerte, und schließlich noch den Anteil für die Hausarbeit. Die Zeit, die dann noch übrig blieb, gehörte mir. Da konnte ich lesen, schreiben, meine Forschungsarbeit betreiben und spazieren gehen. Neuerdings versuche ich, mir meine Zeit überhaupt nicht mehr in einzelne Abschnitte einzuteilen. Die Zeit mit Joey und Sue betrachte ich jetzt genauso als meine eigene Zeit. Wenn ich Joey bei den Hausaufgaben helfe, schaue ich, wie ich auch diese Zeit genauso zu meiner eigenen machen kann. Ich gehe also mit ihm seine Hausaufgaben durch, bin ganz bewusst mit ihm zusammen und entwickle so auch wirkliches Interesse an unseren gemeinsamen Aktivitäten. Die Zeit, die ich scheinbar nur ihm widme, wird dadurch plötzlich zu meiner eigenen Zeit. Genauso mache ich es jetzt auch mit der Zeit, die ich mit Sue verbringe. Und das Verblüffende daran ist, dass ich auf einmal unbegrenzt Zeit für mich selbst habe!«
Allen lächelte, als er mir das erzählte. Ich war überrascht. Das hatte Allen nicht aus Büchern, sondern in seinem Alltag für sich allein herausgefunden.
Abwaschen, um abzuwaschen
Als junger Novize lebte ich vor einigen Jahrzehnten in der Tu-Hieu-Pagode. Das Abwaschen war damals eine wenig angenehme Aufgabe. In der Zeit der Exerzitien, wenn alle Mönche wieder im Kloster versammelt waren, mussten zwei Novizen für zeitweise mehr als hundert Mönche kochen und abwaschen. So etwas wie Spülmittel kannten wir nicht! Wir hatten nur Asche, Reisspelze und Schalen von Kokosnüssen. Das war alles. Eine schw