[13]Einleitung
Wissenschaft undWeltweisheit
Ein neuer Zugang zu Kant
Ich nenne einen solchen Gelehrten einen Cyclopen. Er ist ein egoist der Wissenschaft, und es ist ihm noch ein Auge nöthig, welches macht, daß er seinen Gegenstand noch aus dem Gesichtspunkte anderer Menschen ansieht. […] Das zweyte Auge ist also das derSelbsterkenntnis der Menschlichen Vernunft.
(Kant,R 903; 15,395)
1. Präsenz im Vorder- und im Hintergrund. Die Philosophie der letzten beiden Jahrhunderte stand im Zeichen Kants. Zwar hat es, innerhalb wie außerhalb der Philosophie, bemerkenswerten Widerstand gegen sein kritisches Philosophieren gegeben. Doch im Abstand von sieben oder acht Generationen wird deutlich, dass eigentlich nur dieRomantik eine bleibende Opposition zu erzeugen vermochte. An ihr haben sich die Geister, nicht aber derGeist geschieden, so dass Kant sogar bei seinen romantisch inspirierten Gegnern wieHegel undSchopenhauer,Emerson undNietzsche,Dilthey,James oderHeidegger wirksam bleiben konnte. Auch wenn Wissenschaft und Zeitgeist aus verständlichen Gründen immer wieder andere Akzente setzten, so ist Kant dennoch die bestimmende Figur im Hintergrund geblieben. Zur Selbstverständigung über die Gegenwart ist es unerlässlich, ihn immer wieder in den Vordergrund zu rücken.
[14]Die philosophische Präsenz dieses Denkers ist vergleichbar nur mit der Wirkung einesPlaton oderAristoteles, die über Jahrtausende hinweg gegenwärtig geblieben sind. Dabei bleibt KantPlaton im Ansatz undAristoteles im Verfahren treu. SchonPlatons SchülerAristoteles hatte dieNotwendigkeit gesehen, die Einsichten seines Lehrers unter dem – damals neuen – Anspruch der Wissenschaft zu präzisieren. Kants eigener Einsatz ist ganzanalog: Obgleich er weiß, wie sehr er dem sokratisch-platonischen Anfang des Philosophierens verpflichtet ist, vollzieht er die kritische Innovation ausdrücklich unter den Bedingungen der neuzeitlichen Wissenschaft. Das kommt in seiner zentralen FrageWie istMetaphysikals Wissenschaft möglich? zum Ausdruck.
2. Ein Philosoph der Wissenschaft. Der radikal ansetzende Versuch, die Philosophie auf das methodologische Erkenntnisniveau der modernen Wissenschaft zu heben, erklärt die fortdauernde Modernität Immanuel Kants. Sie hat seinem Werk über zwei Jahrhunderte hinweg eine breite Aufmerksamkeit gesichert und ist keineswegs auf die Kantianismen und Neokantianismen beschränkt geblieben. Sie hat unablässig Neugierige aus anderenSchulen angezogen oder erklärte Gegner hervorgebracht. Vor allem durch die Gegnerschaft jener, die ihm, wieHegel,Schopenhauer undNietzsche, nahestehen, ist die Wirkung Kants so lebendig geblieben. Auch im Übergang ins 21. Jahrhundert scheint es nicht möglich zu sein, die eigene philosophische Position ohne Rückgriff auf Kant zu beschreiben.
Entsprechend umfangreich ist d