Jahn, das Alphatier
1796 – 1802
Die Idee, in Halle eine Universität zu gründen, stammte vom brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III., dem späteren ersten König in Preußen. Zur Einweihung der Alma Mater Halensis am 1. Juli 1694 war sogar Kaiser Leopold I. aus Wien an die Saale geeilt. Der Philosoph Christian Wolff und der Rechtsgelehrte Christian Thomasius verliehen ihr ersten wissenschaftlichen Glanz. Durch Thomasius wurde Halle sogar zu einem Ausgangspunkt der deutschen Aufklärung.
Es ist jetzt stadtbekannt der Nam’ der Pietisten.
Was ist ein Pietist? Der Gottes Wort studiert
Und nach demselben auch ein heilig Leben führt.
Das ist ja wohl getan, ja wohl von jedem Christen.
»Das ist mir zu unpräzise«, bemerkte Pulvermacher, der sich oft mit zu Jahn in die Vorlesungen setzte. Neben ihm zischte man schon wegen der schier unerträglichen Langeweile und stieß leise Verwünschungen aus.
Die Franckeschen Stiftungen zu Halle – anfangs hießen sie Glauchasche Anstalten – waren 1698 von dem Theologen und Pädagogen August Hermann Francke ins Leben gerufen worden. Francke, 1663 in Lübeck zur Welt gekommen, gründete eine Armenschule, um die Not von Kindern aus den unteren Bevölkerungsschichten zu lindern. Die Einrichtung genoss bald einen so guten Ruf, dass etliche Glauchaer Bürger ihre Kinder gegen eine geringe Schulgebühr in den Unterricht gaben. 1695 richtete Francke schließlich das Pädagogium als»Erziehungs- und Bildungsanstalt für Kinder aus dem Adel und dem reichen Bürgertum« ein. Zwei Jahre später kam eine Lateinschule hinzu, die Bürgerssöhne auf das Studium vorbereitete. Um die Kosten niedrig zu halten, ließ man Studenten unterrichten, die dafür freies Quartier, freies Holz und 16 Groschen Lohn erhielten.
Er ist von hoher, das gewöhnliche Maßüberschreitender muskulöser Gestalt, Meister in den Leibeskünsten, begabt mit kräftigen Armen und derben Fäusten, auf die er sich verlassen kann und die zu gebrauchen er auch sofort bereit ist. Was seinÄußeres betrifft, so ist das ebenso vernachlässigt wie beim Alten Fritz, sein Leibrock ist meist staubig und zerrissen. Er ist ein in hohem Grade unruhiger Geist, der mehrmals in der Woche und oft einige Tage hintereinander durch die Gegend streift, einem hungrigen Wolf vergleichbar, wobei es bei ihm der pure Lebenshunger ist. Mir fehlen zumeist Zeit und Kraft, ihm zur Seite zu sein.
Die Wanderschaft ist die Bienenfahrt nach dem Honigtaue des Erdenlebens, hatte Jahn einmal in sein Tagebuch geschrieben. Da hatte er das Studium der Theologie bereits aufgegeben und sich der deutschen Geschichte, Sprache und Literatur zugewandt. Wobei er, wie zu Schulzeiten, keine Kolleghefte führte und sich keinerlei Aufzeichnungen machte. Seine Kommilitonen verspottete er wegen ihrer»Heftereiterei«. Aufgrund seiner Intelligenz und seines außergewöhnlichen Gedächtnisses fiel er trotzdem nicht hinter die anderen zurück, im Gegenteil, den meisten war erüberlegen. Auch saß er jetzt bei Professoren im Hörsaal, denen er großen Respekt entgegenbrachte und von denen er eine Menge lernte, so bei Matthias Christian Sprengel, einem Geographen und Historiker, und bei dem Philosophen Johann August Eberhard. Von ganz besonderer Bedeutung für Jahns ferneren Lebensweg aber war der Sprachforscher, Altertumswissenschaftler und Philosoph Friedrich August Wolf. Der vertrat in Halle auch das Fach Eloquenz, von dem Jahn sich ganz besonders angezogen fühlte.
Der größte Teil derer, welche Universitäten besuchen, benutzt die erste Zeit der akademischen Laufbahn, um die Rohheiten seinerälteren Kameraden zu erlernen, sich in ihr unsittliches Betragen einzustudieren und eine von Barbaren ersonnene Zunftsprache sich geläufig zu machen. In der ersten Hälfte der mittlern Zeitübt der Jüngling die erlernten Thorheiten und Bosheiten. In der andern Hälfte wird der Verführte schon wieder Verführer. Mit siechem Körper, geschwächtem Verstande, erschöpftem Geldbeutelsucht nun der Wüstling in aller Eile seinem Gedächtnis so viel einzuprägen, um die Fragen bei der bevorstehenden Prüfung notdürftig beantworten zu können.
Bei Lichte besehen war Jahn allerdings auch keiner, der dem Ideal des fleißigen, sparsamen und zurückgezogen lebenden Studenten entsprach. Den beiden anderen in Halle vertretenen Studentengattungen war er aber auch nicht zuzurechnen – weder den Prahlhänsen, die trinkfest, anmaßend, aufbrausend und andauernd auf Raufereien aus waren, noch den Zierbengeln, die sich eitel gaben, mit dem Geld ihrer Eltern nur so um sich warfen und immer nach amourösen Abenteuer suchten. Jahn suchte noch nach seiner ganz eigenen Rolle.
Die Berliner präferierten seit rund hundert Jahren ein obergäriges Schankbier aus Gersten- und Weizenmalz, das im Vergleich zu anderen Biersorten etwas sauer schmeckte. Das Berlinische Weizenbier, auch Berliner Weiße genannt, hatten die Berliner nicht selbst erfunden, sondern einem Produkt des Halberstädter Brauers Cord Broihan nachempfunden. Rund siebenhundert Weißbierlokale gab es in der Residenzstadt, Biere nach Pilsener Brauart kannte man noch nicht.
Ich hasse die landsmannschaftlichen Kränzchen und die Abschottung des einen deutschen Stammes vom anderen. Und es wird an unseren Universitäten nicht eher besser werden, als bis der letzte Kränzchensenior an den Gedärmen des Kränzianers erdrosselt ist. Alle deutschen Studenten müssen unabhängig von ihrer Stammeszugehörigkeit zu einer einzigen, alle Länderübergreifenden Gemeinschaft zusammengefasst werden.
Der Freund antwortete postwendend:
Ich will Dir gerne glauben, dass Du diese Ziele verfolgst, mein lieber Fritz. Mir scheint aber, dass die eigentliche Triebkraft dazu Deine angeborene Streit- und Abenteuerlust ist. Die steckt so tief in Dir drin, dass Du gar nicht anders kannst. Immer versuchst Du, andere um Dich zu scharen, und Du gefällst Dir offenbar in der Rolle des Anführers.
Wenn Jahn sich auchüber diese Formulierungärgerte, schienen die Geschehnisse Pulvermacher recht zu geben. Jahn zog mit einer kleinen Schar von Verbündeten regelmäßig aus, um die Nester der einzelnen Landsmannschaften zu verwüsten und deren Häupter mit der Peitsche oder den Fäusten zu traktieren. An die Wände schrieb er Verwünschungen und versah sie mit Ausdrücken, die mehr waren als Beleidigungen. Kein Wunder, dass er immer wieder vor den Universitätsrichter zitiert wurde.
Die ganze,äußerst einförmige und schlecht gehaltene Fabel dient einer reinen und schönen Sittenlehre zur Hülle, die ihr aber oft so ungezwungen und oft wieder so lose angepasst wird, dass sie weniger aufklärt als verdunkelt. Nichts beleidigt indessen mehr als die barbarische Durcheinandermengung des Abstrakten mit dem Symbolischen, oder der Allegorie mit den philosophischen Begriffen, die sie bezeichnen soll.
Da Jahn Schiller ohnehin nicht mochte, kümmerte ihn diese Kritik nicht im Geringsten. Ihn beeindruckte vor allem, dass in dem Roman die staatstreue Gesinnung zu einem religiösen Kult erhoben wurde.Dya-Na-Sore war die Quelle für Jahns spätere Verherrlichung der Vaterlandsliebe.Die Liebe des Lebens muss der Liebe des Vaterlandes weichen, konnte er bei von...