ZWEI
HERMANN KAPPES ZIMMER lag zwar nach hinten raus, doch die Geräusche und die Gerüche, die aus dem engen Hof durch das weit offene Fenster hereinströmten, weckten ihn früh. Er würde nie begreifen, weshalb Hausfrauen sofort nach dem Aufstehen damit begannen, topf- und pfannenklappernd Kohl oder andere stark riechende Mittagsmahlzeiten zuzubereiten, aber es war eigentlich auch egal. Er war es gewohnt, früh aufzustehen, und er hoffte, dass ihn Mutter Mucke, seine Zimmerwirtin, nicht schon zu dieser Stunde mit ihrem Geschwätz und ihrer Neugier den Nerv rauben würde.
Nach seinem Geschmack ging man den Tag besser gemächlich an, frühstückte gut und machte sich rechtzeitig auf den Weg zur roten Burg am Alexanderplatz, um möglichst vor von Canow und Dr. Kniehase dort einzutreffen. Galgenberg, dem seine fünf Kinder sowieso wenig Schlaf gönnten, hatte dann bereits die Hälfte seinesTageblatts gelesen und fläzte sich hinter dem Schreibtisch, als hätte er die ganze Nacht im Präsidium verbracht. Kappe hatte den Kollegen im Verdacht, zumindest gelegentlich direkt aus der Kneipe zum Dienstantritt zu erscheinen, obwohl Galgenbergs korrekte Kleidung einen solchen Schluss eigentlich nicht zuließ.
Wie jeden Morgen stellte sich die Frage des Wegs, den er nehmen wollte. Seit die Kraftomnibuslinie 24 über den Moritzplatz, die Jannowitzbrücke und die Alexanderstraße direkt am Präsidium vorbeiführte, benutzte er diese am liebsten. Das kraftvolle Motorengeräusch erinnerte ihn an die Fliegerei, für die er schwärmte, obwohl er genau wusste, dass ihn schon auf dem Omnibusoberdeck ein seltsam beklemmendes Gefühl überkam. Deshalb blieb er lieber im Parterre stehen, und bei Regen stieg er gelegentlich in den Pferdeomnibus Nr. 7. Außerdem verkehrten direkt vor seiner Haustür in der Waldemarstraße drei Straßenbahnlinien, von denen die 22 und die 46 auf Umwegen ebenfalls zum Alex fuhren.
In letzter Zeit benutzte er sie nicht so häufig, bestand doch die Gefahr, dabei unverhofft auf Klara Göritz zu treffen. Dass er einmal Wert darauf legen würde, seiner großen Liebe möglichst nicht zu begegnen, hätte er sich selber nicht träumen lassen, aber im Augenblick war ihre Beziehung ein wenig getrübt, um es milde auszudrücken. Deshalb hatte er den vergangenen Sonntag draußen in Hoppegarten zuerst beim Galopprennen und später auf Börnickes Grundstück verbracht und sich von der todlangweiligen Hertha, seiner Cousine, anhimmeln lassen. Dann doch lieber Klara mit ihren Ansprüchen, lautete sein Fazit des verdorbenen Wochenendes, an dem ihm zudem Paul Börnicke mit seiner plumpen Kriegsbegeisterung auf die Nerven gegangen war. Den als Schwiegervater - nee!
Er und Klara waren ja nicht direkt verkracht miteinander, doch hatte der Dienst ihn in letzter Zeit einige Male gehindert, die Verabredungen mit ihr einzuhalten, und Klara hatte das prompt übelgenommen. Als er sie dann eines Abends unverhofft vom Kaufhaus Hertzog am Köllnischen Fischmarkt hatte abholen wollen, verließ sie den Personalausgang zu seiner Überraschung im trauten Gespräch mit einem stutzerhaft gekleideten Individuum, das Kappe mit seiner inzwischen gewonnenen Menschenkenntnis ohne zu zögern als einen Hochstapler oder Heiratsschwindler charakterisiert hätte, wäre der Kerl nicht zwangsläufig zum Personal des Kaufhauses zu zählen gewesen. Von seinem Platz im abendlichen Schatten der Petrikirche aus beobachtete er die beiden, die sich ganz ungezwungen gaben und lachend miteinander die Richtung zum Spittelmarkt einschlugen, wobei der Kavalier Klara beim Überqueren des Fahrdamms galant den Arm bot, den sie nicht ablehnte.
Ein heißer Stich durchfuhr Hermann Kappe. Für einen Moment war er versucht, den beiden im Eilschritt zu folgen, dem Stenz den steifen Hut vom Kopf zu schlagen und Klara zur Rede zu stellen - doch bezwang er sich rechtzeitig. Es geschah ihm ganz recht, dass sie sich so schnell tröstete, al