1. KAPITEL
Cressida Fielding lenkte ihren Fiat zwischen den beiden Steinsäulen in die Einfahrt und fuhr über den langen, gewundenen Weg zum Haus.
Auf der breiten Kiesfläche vor dem Haupteingang brachte sie den Wagen zum Stehen. Die Hände um das Lenkrad gekrampft, saß sie einen Moment still und starrte auf das Haus.
Endlos war ihr die Fahrt vom Krankenhaus über die engen, kurvigen Landstraßen vorgekommen, während die Abendsonne ihre Augen blendete. Aber lieber wäre sie den Weg noch einmal gefahren, als sich der Situation zu stellen, die sie nun erwartete.
Das Bild ihres Vaters auf der Intensivstation ging ihr nicht aus dem Kopf. Sein Gesicht unter dem grellen Neonlicht war aschfahl, sein stämmiger Körper schien seltsam geschrumpft.
Mit zusammengepressten Lippen versuchte Cressida das Bild abzuschütteln. So durfte sie nicht denken. Ihr Vater hatte einen schweren Herzanfall erlitten, aber er war auf dem Weg der Besserung. Und sobald sein Zustand stabil genug war, würde er operiert werden. Und dann würde es ihm wieder gut gehen – zumindest gesundheitlich.
Und ich werde alles tun, ihm die Rückkehr ins Leben zu erleichtern, dachte sie.
Ihr Herz tat einen Sprung, als sie den Range Rover ihres Onkels neben den Rhododendronbüschen stehen sah. Wenigstens war sie nicht alleine.
Als sie die Stufen hochging, öffnete sich die Eingangstür, und die Haushälterin erschien mit besorgtem Gesicht. „Oh, Miss Cressy“, rief sie erleichtert bei ihrem Anblick. „Endlich sind Sie da.“
„Ja, Berry, ich bin zurückgekommen.“ Cressida legte beruhigend ihre Hand auf Mrs Berrymans Arm. In der Eingangshalle blieb sie stehen und blickte auf die geschlossenen Türen rundherum. Sie holte tief Luft. „Ist Sir Robert im Wohnzimmer?“
„Ja, Miss Cressy. Und Lady Kenny ist auch da. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn angefangen hätte, er war wie ein Fels in der Brandung.“ Sie zögerte. „Soll ich Ihnen etwas bringen?“
„Ja, vielleicht Kaffee – und ein paar Sandwiches. Ich konnte im Flugzeug nichts essen.“
Cressida sah der forteilenden Berry nach, dann durchquerte sie seufzend die Halle. An dem großen Spiegel über dem hübsch geschwungenen antiken Tischchen hielt sie kurz inne und betrachtete ihr Spiegelbild.
Sie behielt immer einen kühlen Kopf. Ihr Chef sagte es mit Bewunderung, ihre Freunde mit bekümmertem Lächeln und ihre Verehrer mit an Feindseligkeit grenzender Verzweiflung.
Eine Persönlichkeit, die sie sorgfältig und mit Bedacht aufgebaut hatte, und die ihr Halt gab.
Aber heute Abend zeigten sich Risse in der Fassade. Unter den graugrünen Augen lagen tiefe Schatten, was die hohen Wangenknochen noch stärker betonte, und um den Mund zogen sich Linien der Anspannung.
Nach dem Gefühlssturm der letzten Wochen war es das erste Mal, dass sie sich eingehend im Spiegel betrachtete. Ihre Sachen waren völlig zerknittert von der Reise, und ihr hellblondes Haar klebte am Kopf. Mit einer Grimasse fuhr sie sich durchs Haar, atmete tief durch und betrat das Wohnzimmer.
An der Tür blieb sie verdutzt stehen, als sie die veränderte Einrichtung sah – mit schwerem Brokat bezogene Polstermöbel, weißer Teppichboden anstelle der schönen alten Perserbrücken, vergoldete und kristallene Leuchter, wo früher grazile Lampen standen, und überall Spiegel