So grau wie der Ferientag drau-ßen war auch Susanne Berghoffs Stimmung. Es gab nichts, aber auch gar nichts, was sie zur Zeit interessierte oder von ihrer grenzenlosen Trauer ablenken konn-
te.
Drei Monate lag es bereits zurück, daß sie ihren geliebten Mann Ulf auf seinem letzten Weg begleitet hatte, dem Weg in eine andere Welt, zu der sie, Susanne, keinen Zutritt hatte.
Damals hatte sie ihm in ihrer Verzweiflung folgen wollen. Die Vorstellung, ganz allein weiterleben zu müssen, hatte sie schier zum Wahnsinn getrieben.
Ja, wenn sie wenigstens ein Kind von ihm gehabt hätte, dann wüßte sie, wofür sie leben sollte. So aber stand sie ganz allein auf der Welt, ohne Familie, ohne Freunde.
Seufzend faßte Susanne Berghoff in ihre Schürzentasche, um den Schlüssel zu holen. Er brannte in ihrer Hand wie glühendes Metall.
Aber sie wußte, daß es sein mußte. Seit drei Monaten schlich sie schon um Ulfs Arbeitszimmer herum wie eine Katze um den heißen Brei. Einmal mußte sie sein Zimmer betreten, um den Nachlaß zu ordnen. Immerhin hatte sie eine Firma mit fünf Angestellten zu betreuen, deren Arbeitsplatz nun in ihren, Susannes, Händen lag. Denn Ulf hatte keine weiteren Familienangehörigen. Also nahm sie allen Mut zusammen und betrat das Arbeitszimmer.
Die Schreibtischschublade war nicht verschlossen. Sofort fiel Susanne die peinliche Ordnung auf, die ihr Mann hinterlassen hatte. Ja, so war Ulf immer gewesen. Nichts hatte ihn so aufbringen können, als wenn irgendwo Unordnung herrschte.
»Ach, Ulf, mein Liebster, ich werde dich nie in meinem ganzen Leben vergessen, das verspreche ich dir«, seufzte Susanne unglücklich, bevor sie einen Stapel Papiere aus der Schublade nahm.
Es handelte sich dabei haupt-sächlich um geschäftliche Unterlagen, von denen sie ohnehin nichts verstand. Trotzdem mußte sie sich bemühen, alles zu lernen, was die Firma betraf. Immerhin hing der Arbeitsplatz von fünf Familienvätern von ihrem guten Willen ab. Und den wollte sie zeigen.
Plötzlich stutzte die junge Frau. Ganz unten entdeckte sie einen Briefumschlag mit der Aufschrift: Mein Testament.
Susanne war es, als griffe eine eisige Faust nach ihrem Herzen und preßte es zusammen. Fast bekam sie keine Luft mehr. Etwas Geheimnisvolles, das ihr Angst einjagte, ging von dem Umschlag aus.
Sie nahm all ihren Mut zusammen und öffnete das Kuvert. Zum Vorschein kam ein Blatt Papier, das eng mit Ulfs steiler Handschrift bedeckt war.
»Liebe Susi«, las die junge Frau halblaut. Ihre Stimme bebte, und sie begann plötzlich zu frösteln, als ob sie Fieber hätte.
Da war es also, das Testament. Und dabei hatte Susanne geglaubt, er wollte es bei einem Notar hinterlegen. Es wäre dort doch viel sicherer gewesen.
Die junge Frau holte tief Luft. Sie mußte wissen, was in dem Testament stand, auch wenn es sie unheimliche Überwindung kostete, Ulfs Letzten Willen zu lesen.
»Wenn Du diesen Brief findest, bin ich wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Ich hoffe inständig, daß es bis zu diesem Tag noch recht lange dauert.« Susannes Lippen bebten. Sie konnte nicht mehr weiterlesen.
Ihr Blick fiel auf das Datum. Das Testament war fast auf den Tag genau sieben Monate vor Ulfs Tod abgefaßt wor