Dr. Stefan Holl schaute auf die Uhr. Er fühlte sich heute nicht besonders fit, das lag wahrscheinlich an der Hitze. Es war zwar erst Ende Mai, und doch herrschten schon hochsommerliche Temperaturen.
„Na, Annchen, schwitzen Sie heute auch so?“
„Nur unter der Zunge, Herr Doktor“, antwortete die beste Kraft des Chefarztes und lachte. Schwester Annegret legte ihm eine Karteikarte auf den Schreibtisch. „Das ist die letzte Patientin, dann können Sie endlich Mittag machen.“
„Das ist ja schon ein kleiner Lichtblick.“ Stefan Holl seufzte, als er an den Nachmittag dachte. Vielleicht musste er sogar bis zu den frühen Abendstunden in der Klinik bleiben, denn zwei schwierige Geburten standen noch an, bei denen er dabei sein wollte.
Schwester Annegret kannte die Angewohnheiten ihres Chefs und wusste, dass er zunächst einen Blick auf die Karteikarte warf. Sie ließ ihn stets ein paar Minuten Zeit, bevor sie die Patientin zu ihm schickte.
Dr. Holl stutzte, als er den Namen auf der Karteikarte las:Franziska Conradi . Sein Freund Hubert hatte eine Tochter namens Franziska.
Erfreut stand er auf, als tatsächlich Franziska ins Sprechzimmer kam.
„Das nenne ich eine gelungene Überraschung“, sagte er und drückte ihre Hand. „Franzi, du wirst immer hübscher.“
„Und du bist und bleibst ein Charmeur, Stefan“, erwiderte sie. Früher hatte sie Onkel Stefan zu ihm gesagt, doch das hatte er sich schon vor ein paar Jahren verbeten.
„Bei deinem Anblick geht einem das Herz auf.“ Er trat einen Schritt zurück. „Lass dich anschauen!“
Ein gutes Jahr war vergangen, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Vielleicht täuschte er sich, doch er hatte den Eindruck, dass Franzi reifer, fraulicher geworden war.
Ihr Haar zeigte einen warmen Goldton, und das dunkle Grün der Augen war tief und geheim