1. KAPITEL
„Dante, mein Junge, es wird Zeit für dich, noch einmal zu heiraten.“
Antonio D’Agostinos Hand zitterte und sein Blick wirkte verhangen, als er zu der Leinenserviette neben dem Teller griff und sie zum Mund hob, um seine Emotionen hinter ihr verbergen zu können.
Nachdem er auf Geheiß seines Onkels in dessen Palast nahe Venedig geeilt war, betrachtete Dante dieses emotionale Spektakel mit ironischer Skepsis. Antonio kreiste seit Jahren um dieses heikle Thema, wich allerdings direkten Konfrontationen normalerweise aus. Einen Seufzer unterdrückend schob er seinen Teller zur Seite, rückte den Stuhl zurecht und streckte die langen Beine aus. Antonio D’Agostino konnte aus dem Stand Tränen vergießen, egal, ob es um das traurige Schicksal streunender Hunde oder um Italien im Ganzen ging.
Er war so ganz anders als Dantes Eltern, wofür er seinen Onkel besonders schätzte und liebte. Antonio hatte ihm die Augen für ein Leben geöffnet, in dem man auch Spaß haben konnte. Durch Geburt zum italienischen Adel gehörig, waren Dantes Eltern der Inbegriff von Pflichtbewusstsein gewesen und verlangten vom Tag seiner Geburt an dasselbe von ihrem einzigen Nachkommen.
Auch sich selbst erlaubten sie es nie, von dem abzuweichen, was von ihnen erwartet wurde, bis zu dem Tag, an dem sie zusammen mit Dantes Frau bei einem Autounfall ums Leben kamen, nach einer Opernaufführung, an einem regnerischen, nebligen Abend. Dem Abend, an dem sich Dantes Leben für immer veränderte.
Riesige Ländereien mussten verwaltet werden, gesellschaftlichen Kontakt pflegte man nur mit Seinesgleichen, in deren Adern selbstverständlich blaues Blut floss, denn alles andere wäre inakzeptabel gewesen.
Was das betraf, hatten Dantes Eltern alles getan, um ihren Erben darauf zu konditionieren, nur versäumten sie dabei, einen ebenso respektlosen wie lebenslustigen Onkel einzukalkulieren. Antonio hätte liebend gern sein gesamtes Leben damit verbracht, von seinem beträchtlichen Erbe zu leben, um die Welt zu reisen und sich nach Kräften zu amüsieren … wären Efisio und Sofia nicht ums Leben gekommen.
Dadurch war Antonio Mehrheitsaktionär geworden, hatte enorme Summen in das Familienimperium gepumpt und im Gegenzug Dante ermöglicht, sich um seine eigenen Belange zu kümmern, ohne seine viel zu knappe Zeit auch noch aufteilen zu müssen.
„Du weißt, was ich von der Ehe … vom Heiraten halte“, formulierte Dante jetzt vorsichtig, doch der warnende Unterton war nicht zu überhören. Eine Erinnerung daran, dass dieses heikle Thema nicht zur Diskussion stand. „Der Traualtar ist ein Ort, den ich zu meiden gedenke, und Krokodilstränen ziehen bei mir nicht, wie du sehr wohl weißt, Antonio.“
Sein Onkel brummte etwas Unverständliches und klingelte, damit der Tisch abgeräumt wurde. Das Abendessen war imkleineren Speisesaal serviert worden … ausgestattet mit ebenso kunstvollen wie kostbaren Kronleuchtern, Fresken, türkisfarbenen und goldenen Tapeten und prachtvollen Gemälden venezianischer Kanäle.
Dante hatte keine Ahnung, wohin dieses Gespräch führen würde, doch die Zuneigung zu seinem Onkel hinderte ihn daran, es kurzerhand zu beenden. Er würde ihm höflich zuhören und dann der melodramatischen Scharade ein Ende machen.
„Wir sollten uns einen Brandy gönnen.“
„Ich muss morgen wieder arbeiten und …“
Antonio winkte ab. „Wie oft schaffst du es schon nach Venedig, Dante, um deinen gebrechlichen alten Onkel zu besuchen? Einmal im Jahr?“
„Einmal alle sechs Wochen“, kam es trocken zurück. „Und nicht zu vergessen der Sommer, wenn ich in dieser Hitze hier fast vergehe und jedes Mal …“
„Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit.“ Antonio winkte ab. „Du nimmst besser meinen Arm, Dante. Ich bin kein junger Mann mehr.“
„Mit deinen zweiundsiebzig Jahren aber auch kein Greis“, widersprach sein Neffe.
Entsprang es seiner Einbildung oder hatte Antonio abgenommen? Falls dem so war, würde es ihm auf jeden Fall nicht schaden.
„Diesmal lasse ich mich nicht ablenken,Figlio. Mir ist es ernst mit dem, was ich sage. Es ist Zeit für dich, Luciana hinter dir zu lassen und zu heiraten. Ich weiß, dass du sie immer noch liebst, aber sie ist jetzt seit über vier Jahren nicht mehr bei uns, und Angelina braucht eine Mutter.“
Dantes Gesicht wirkte wie versteinert. Antonios Frontalangriff verblüffte und