Sonja Rieder stand vor dem Garderobenspiegel. Aufmerksam musterte sie sich, dann lächelte sie. Sie fand, daß ihr die neue Frisur gut stand. Eifrig zupfte sie dann jedoch hier noch ein Löckchen zurecht, zuletzt holte sie einen Lippenstift aus ihrer Handtasche.
»Mami, was machst du da?« fragte Mark. Interessiert beobachtete er seine Mutter.
Sonja zuckte zusammen, sie fühlte sich ertappt.
»Ich… gehe weg.« Rasch steckte sie ihren Lippenstift in die Tasche zurück.
»Ich komme mit«, verkündete der Neunjährige.
Sonja erschrak. »Ich dachte, du willst heute nicht hinaus. Das hast du doch vorhin gesagt.«
»Ich will nicht zu Bernd«, verbesserte Mark seine Mutter. »Mit dir ist das etwas anderes.«
»Ich gehe nur spazieren. Ich bin auch bald wieder zurück«, wich Sonja aus.
»Ich komme mit.«
»Hast du deine Aufgaben schon gemacht?« Sonja versuchte, ihrer Stimme Strenge zu verleihen.
»Klar. Soll ich sie dir zeigen?«
»Später.« Sonja unterdrückte einen Seufzer.
Mark sah kritisch an sich herunter. »Muß ich mich umziehen? Du hast dich so schick gemacht.« Er war es nicht gewohnt, daß seine Mutter einen Lippenstift benutzte. Sie schminkte sich höchstens mal am Abend, wenn sie mit Papa groß ausging.
Sonja wandte sich schnell ab.
»Wenn wir nur spazierengehen, dann kann ich ja meine Rollschuhe anziehen«, überlegte Mark laut.
»Das ist eine Idee. Du fährst Rollschuh. Du kannst dazu auf den Spielplatz gehen. Ich komme dann dort vorbei und hole dich ab. Wenn du rausgehst, muß ich die Tür absperren.«
»Warum hast du es plötzlich so eilig?« maulte Mark. »Ich habe meine Rollschuhe im Abstellraum. Ich mußte sie gestern ja unbedingt wegräumen.«
Sonja unterdrückte eine Antwort. Sie wollte sich jetzt auf keine weitere Diskussionen einlassen. Vielsagend öffnete sie die Wohnungstür.
»Gleich.« Mark trollte sich in Richtung Abstellraum.
Für Sonja dauerte es ewig, bis er mit seinen Rollschuhen wieder zurückkam.
»So, jetzt muß ich sie noch anziehen. Am besten mache ich das erst im Hausflur. Wenn ich damit die Treppe hinuntergehe, dann poltert es, und Frau Weißert schimpft wieder.«
»Sie ist die Hausmeisterin«, sagte Sonja nach einem erneuten Blick auf die Uhr.
»Mhm«, machte Mark. »Es gibt Schlimmeres. Bernd sagt zu seiner Hausmeisterin immer dumme Gans oder blöde Ziege.« Er schielte zu seiner Mutter empor. Was würde sie jetzt sagen?
Sonja sagte nichts, denn sie hatte diese Bemerkung überhört. Sie drängte nur: »Komm endlich, damit ich abschließen kann.«
»Bin schon weg.« Mark schoß an seiner Mutter vorbei. Als Sonja ins Erdgeschoß kam, hatte er bereits den rechten Rollschuh am Fuß.
»Du kannst schon vorausgehen«, sagte er und hob kurz den Kopf. »Bis du an der Ecke bist, habe ich dich eingeholt.«
»Ich muß sowieso nicht auf dich warten«, meinte Sonja. Sie nahm ihren Worten aber die Schärfe, indem sie ihren Sohn anlächelte. »Du findest doch allein zum Spielplatz.«
»Ich will aber nicht