: Peter Schäfer
: Das aschkenasische Judentum Herkunft, Blüte, Weg nach Osten
: Verlag C.H.Beck
: 9783406812484
: Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung
: 1
: CHF 27.10
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: Weitere Weltreligionen
: German
: 593
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Aschkenas: So nannten die seit dem Mittelalter in Europa ansässigen Juden ihr Siedlungsgebiet vor allem in Deutschland. Peter Schäfer bietet mit diesem Buch erstmals einen auf archäologischen und schriftlichen Quellen basierenden Überblick über Herkunft und Blüte des aschkenasischen Judentums und seinen erzwungenen Weg nach Osteuropa. Seine glänzende Darstellung umfasst mehr als 2000 Jahre jüdischer Geschichte, von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, und wird für lange Zeit Maßstäbe setzen. Ein Edikt des Kaisers Konstantin aus dem Jahr 321 betrifft die Juden in Köln, doch erst für die Zeit um das Jahr 1000 sind jüdische Gemeinden in Köln, Mainz, Speyer, Worms, Regensburg, Prag oder Frankfurt sicher belegt. Woher kamen diese Juden? Wie waren ihre Gemeinden organisiert? Wovon lebten sie, und welche Beziehungen pflegten sie zu ihrer christlichen Umgebung? Peter Schäfer kennt wie kaum ein anderer die Schriften des mittelalterlichen Judentums und beschreibt auf ihrer Grundlage - jenseits der bis heute verbreiteten Klischeevorstellungen - den Alltag und die mystisch geprägte Frömmigkeit der aschkenasischen Juden. Er erzählt von den Verfolgungen und Vertreibungen im Spätmittelalter, der erneuten Blüte jüdischen Lebens in Polen, Litauen und Russland und vom Weg der Juden in eine ambivalente Moderne, die Emanzipation versprach und Vernichtung brachte. Seither liegen die Zentren des aschkenasischen Judentums in den USA und Israel, doch seine Wurzeln reichen weit in das europäische Ostjudentum, in das mittelalterliche Deutschland und in die Antike zurück.

Peter Schäfer, Professor em. für Judaistik, hat an der Freien Universität Berlin und der Princeton University gelehrt und war bis 2019 Direktor des Jüdischen Museums Berlin. Er wurde vielfach ausgezeichnet und 2021 in den Orden Pour le Mérite aufgenommen. Bei C.H.Beck erschienen von ihm zuletzt"Kurze Geschichte des Antisemitismus" (²2020) sowie"Die Schlange war klug. Antike Schöpfungsmythen und die Grundlagen des westlichen Denkens" (2022).

Einleitung


Fast ebenso alt wie die Geschichte des jüdischen Volkes ist die seiner Zerstreuung. Sie beginnt mit dem in Psalm 137 beklagten Babylonischen Exil («An den Flüssen von Babel, dort saßen wir und weinten») im sechsten Jahrhundert v. Chr. und lebt über wechselnde Stationen bis heute fort. Aschkenas, dem dieses Buch gewidmet ist, ist dabei nur eine, aber die Geschichte Europas bis heute prägende Station. Ausgangspunkt und leitendes Motiv des Buches ist die Einsicht, dass die gesamte jüdische Geschichte von ihren Anfängen bis in die Gegenwart durch die Doppelgesichtigkeit von Mutterland und Diaspora bestimmt ist, dass es nie ein Mutterland ohne Diaspora gegeben hat und dass beide eng aufeinander bezogen sind. Das Narrativ vom judäischen[*1] Mutterland als dem einzigen und ewigen Kern und Zentrum des jüdischen Volkes und der Diaspora als einer Folge von Vertreibungen, angefangen beim Babylonischen Exil, ist eine Fiktion, die der Zionismus versucht hat – und bis heute versucht –, zur maßgebenden Doktrin des Staates Israel zu erheben. Mutterland und Diaspora waren und sind von jeher zwei Seiten derselben Sache, von denen keine Seite sich der anderen entledigen kann, ohne wesentliche Aspekte des Judentums aufzugeben.

Die seit dem Mittelalter in West- und Mitteleuropa, später dann auch in Osteuropa ansässigen Juden bezeichnen ihr Siedlungsgebiet nicht als «Deutschland», sondern mit dem hebräischen Wortaschkenas, das schon in der Bibel belegt ist. Die in diesem Siedlungsgebiet lebenden Juden sind Aschkenasen oder aschkenasische Juden. Der Komplementärbegriff istsefarad (Sefarden oder sefardische Juden) und bezieht sich auf die Juden in Spanien und Südfrankreich. Aschkenasen und Sefarden lebten in zwei sehr ungleichen Kulturkreisen, nämlich unter christlicher bzw. islamischer Oberhoheit, mi