2 Salafistisch-religiöse Radikalisierung
Seit Beginn der 2000er Jahre zieht das Thema der Radikalisierung zahlreiche öffentlichkeitswirksame Diskurse, in deren Vordergrund die religiösen Radikalisierungstendenzen junger Muslim*innen sowie die Fragen nach den religiösen Hintergründen und gesellschaftlichen Risiken und Auswirkungen stehen, nach sich.
Die sicherheitspolitische Auseinandersetzung mit der Thematik sowie der politisch und wissenschaftlich diskutierte Zusammenhang mit Gewaltbereitschaft und Extremismus (vgl. Aslan/Akkıllıç/Hämmerle 2018, S. 18 ff.; Neumann 2015) vernachlässigen dabei in Gänze die Wesenszüge von Radikalismus und ihre historische Bedeutung für gesellschaftliche Entwicklungs- und Wandlungsprozesse.
Ein kurzer historischer Rückblick zeigt, dass Radikalismus durchaus eine bedeutende Triebkraft gesellschaftlicher Entwicklungen und kritischer Auseinandersetzungen mit dem jeweiligen sozialen, religiösen und politischen Status quo war (vgl. Kilb 2020).
Verschiedene antike bis moderne Strömungen und Bewegungen setzten sich radikal von den vorherrschenden Strukturen ab, kreierten eigene Weltbilder und setzten weitere Entwicklungsprozesse in Gang. Bereits im 5. Jahrhundert v. u. Z. verfolgte der antike Kynismus das Ziel, mit unkonventionellen und provokanten Methoden und Mitteln zu verdeutlichen, dass Bräuche, Sitten und Werte nicht zur Natur des Menschen gehörten, sondern ein gewaltiges Potential von Zwängen darstellten, durch die sie »daran gehindert werden, zu jener uneingeschränkten Freiheit zu gelangen, die allein ein zufriedenes und glückliches Leben gewährleistet« (Döring 20