1. Jesus als Lehrer in den Evangelien
Es ist sicherlich etwas ungewohnt, wenn wir von Jesus als Lehrer sprechen. Jesus ist doch unser Erlöser und Erretter. Gerne sprechen wir auch von Jesus als unseren Freund, Beistand und Hirten, der sich um uns kümmert. Aber Lehrer? Als der typische Lehrer gilt da eher Paulus.
Wenn wir von Jesus sprechen, dann betonen wir vor allem seine Bedeutung für unseren persönlichen Glauben in Abgrenzung zu anderen Religionen und Glaubensrichtungen. Es fällt uns schwer, Jesus als Lehrenden zu sehen.
Frage zum Gespräch und zur Reflexion
Warum fällt es Ihnen schwer, Jesus als Lehrer zu sehen?
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Weil es für uns so ungewohnt ist, Jesus als Lehrer zu sehen, wollen wir den Aussagen der Evangelien zu Jesus als Lehrer und Lehrendem nachgehen, denn die Vernachlässigung dieser Perspektive hat auch Folgen für unser Christen- und Gemeindeleben.
Es ist auffallend, dass in den vier Evangelien die Wortgruppe „lehren“ (griech.didasko), „Lehrer“ (didaskalos) und „Lehre“ (didaskalia bzw.didachä) etwa 120-mal vorkommt.1
Nach dem einhelligen Zeugnis der Evangelien gehört das Lehren zu den vornehmsten Funktionen Jesu. Es steht damit noch vor dem Verkündigen (kérrysso) der Königsherrschaft Gottes und der Krankenheilung (Mt 4,23; 9,35; 11,1 ff.). Wenn man solch eine Reihenfolge auch nicht werten darf, so ist sie doch auffallend.
Jesus tritt als Lehrer auf (z. B. Mt 9,11; 17,24; 23,8) und wird Lehrer von den verschiedensten Schichten des Volkes genannt (z. B. Mt 8,19; Mk 4,38; 9,17.38; 10,35; 12,14.19.32; Lk 10,25; 11,45; 12,13; 19,39 u. v. a. m.). Offensichtlich ist die Bezeichnung Jesu als Lehrer so geläufig und feststehend, dass in den Evangelien bereits die bloße Namensnennung ausreicht, um die Person zu bezeichnen (Mt 26,18). Jesus ist also eine anerkannte Lehrautorität zu seiner Zeit (Jh 3,2; 11,27 f.; 13,13 f.).
Der Ehrentitel für einen Lehrer und Gelehrten war „Rabbi“. So wird auch Jesus wie die Schriftgelehrten seiner Zeit Rabbi genannt.2 Die Aufgabe des Rabbinen war es, aus der Tora (dem Gesetz) den Weg Gottes zu weisen und den göttlichen Willen aufgrund seiner Kenntnisse im Gesetz und der Propheten zu deuten und darzulegen. Nach jüdischer Vorstellung sollte der Messias vor allem ein Lehrer der Tora sein. (Jh 4,25)
Wodurch unterscheidet sich Jesus als Rabbi (Lehrer) von den anderen Rabbinen (Lehrern) seiner Zeit?
Jesus selbst war nie Schüler eines Rabbi. In den Augen der Rabbinen war er ein ungelehrter Mann (Jh 7,15), trotzdem sprach er in Vollmacht und nicht wie die Schriftgelehrten (Mt 7,29 u. a.). Während die Rabbinen großen Wert auf die Auslegung (Exegese) der Schrift legten, wandte Jesus die Schrift unmittelbar auf sich an und nannte sie als Zeuge für sich selbst (Jh 5,39; Lk 24,27.32.45). Jesus hat also nicht nur das Gesetz ausgelegt, war nicht nur Gesetzeslehrer wie die Schriftgelehrten, sondern besaß eineLehrautorität, die über das Gesetz hinausgeht.
„Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist (…) Ich aber sage euch …“ (Mt 5,21 u. a.)
Damit ist Jesus mehr als Mose, durch den Gott das Gesetz gegeben hat. (Vgl. Jh 1,17) So gesehen ist Jesus der „neue“ Mose, der nicht nur das Gesetz auslegt, sondern es erfüllt und Neues lehrt, di