Der Hl. Thomas geht wiederholt auf die sprachliche Herkunft des Wortes „Moral“ ein und bemerkt unter Anspielung auf die verwandten griechischen Worte, dass man unter mos, mores, moralis bald eine äußere Gewohnheit und Übung, bald eine innere Verfassung und sittliche Neigung der Seele versteht. Diese innere Neigung liege, da das Moralische einen gewissen Gegensatz zum Naturhaften bilde, wesentlich im Willen, im freien Streben und Lieben. „Dem sittlichen Lebenskreise gehört etwas insofern an, als es freiwillig ist“; das vernünftige Wesen „heißt insofern gut, als es einen guten Willen hat“. Äußerliche Korrektheit und Tüchtigkeit, ja auch intellektuelle Schaffenskraft machen nicht den sittlichen Charakter aus.
Die thomistische Sittenlehre ist nicht „Erfolgsmoral“; sie ist „Gesinnungsmoral“ insofern, als sie Ursprung und Wesen der Sittlichkeit ins Innere, in die freie Willensrichtung verlegt. Sie ist aber nicht Gesinnungsmoral im Sinne derjenigen, die mit Kant von objektiven Gütern als Normen des Sittlichen nichts wissen wollen. Sie ist auch eine Moral der Zielgüter, sie ist durch und durch auf der Ordnung der Zwecke aufgebaut. Im Zweck besitzt die Gesinnung ein Objekt, einen sachlichen Ruhepunkt; nicht den Zufallserfolg äußerer Wirklichkeit, sondern den vom Willen geschauten und erstrebten Erfolg; im Zweck begegnen und durchdringen sich Erfolg und Gesinnung. Die „Gesinnung“ moderner Ethiker ist ein Wort ohne Gehalt und Klarheit; objektlose Gesinnung ist zugleich kraft- und erfolglos. Es gibt Menschen, denen diese Unklarheit willkommen ist, weil sie ihnen die Illusion lässt, der Mensch erringe die sittliche Vollkommenheit voraussetzungslos, rein aus sich selbst; sie drehen sich logisch im Kreis, um sich praktisch weiter um ihr Ich als Mittelpunkt drehen zu können. Sie folgen nur ihrer „Überzeugung“, sie bleiben unerschütterlich im Bewusstsein ihrer edelsten Gesinnung, die von keinen äußeren Maßstäben und Interessen abhängig sei; während tatsächlich nur eine feinere Selbstsucht den Platz eingenommen hat, den sonst die äußeren Interessen einzunehmen pflegen. Dieser gefälligen und uralten Täuschung gegenüber hatte schon Augustin mit tiefer Schlichtheit gesagt: „Sie machen kein gutes oder schlechtes Benehmen, außer gute oder schlechte Liebe“: statt Gesinnung setzt er das deutlichere Wort Liebe; diese innerste Neigung und Teilnahme des Willens entscheidet über den sittlichen Wert und Unwert des Menschen. Bei der Liebe aber kann man die Beziehung auf den Gegenstand, auf die gelieb