: Marion Wisinger
: Goisern Eine erzählte Ortsgeschichte
: Verlag Kremayr& Scheriau
: 9783218014274
: 1
: CHF 17.00
:
: Regional- und Ländergeschichte
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wie hat die Bevölkerung Bad Goiserns die Jahre 1900 bis 1955 erlebt? Der Weltgeschichte setzt diese besondere Chronik die vielen Stimmen eines Ortes entgegen. Wie viel Weltgeschehen passt in einen Ort? Kann das Persönliche das Kollektive überlagern, oder ist es umgekehrt? Ist ein Ort nicht die Summe seiner Einzelschicksale? Die Historikerin Marion Wisinger erzählt die Geschichte Bad Goiserns von der Jahrhundertwende bis zum Wiederaufbau. Sie trägt persönliches Erleben der Bewohner:innen zusammen und stellt Bezüge zu weltpolitischen Ereignissen her. Aus der Vielstimmigkeit entsteht eine differenzierte Collage des Salzkammergut-Idylls. Der spannende Versuch, Geschehnisse aus unterschiedlichen Perspektiven darzustellen, kann exemplarisch für viele Orte gelesen werden. Associated Project of European Capital of Culture 2024 | Salzkammergut

Die Historikerin Marion Wisinger setzt sich seit vielen Jahren mit österreichischer Erinnerungskultur auseinander. Sie beschäftigt sich mit der Aufarbeitung der von der Gesellschaft vergessenen Geschichte, die sie in ihren Studien über Gewalt in österreichischen Kinderheimen, als Chefredakteurin des Liga-Magazins für Menschenrechte und in ihren zeitgeschichtlichen Beiträgen und Essays sowie in einfühlsamer Erzählliteratur thematisiert. Sie ist Vorsitzende des Wiener Forums für Demokratie und Menschenrechte und Vizepräsidentin des Österreichischen PEN-Clubs. Sie lebt in Wien und Bad Goisern.

Prolog


Die Zeit, die vergeht, ist voller Leben. Nachdem wir einen Schilling auf die Gleise gelegt und uns in das hohe Gras am Bahndamm gesetzt hatten, läutete flussaufwärts ein Glöckchen, Insekten summten in der Mittagshitze. Die ewigen Holzarbeiten im Wald waren nicht mehr zu hören. Mein Großvater legte die Hand ans Ohr und flüsterte, dass es nun so weit sei. Bald darauf schossen die Garnituren der Regionalbahn vorbei und nahmen uns für einen Moment den Atem. Als der Zug nach einigen hundert Metern im Bahnhof anhielt und die Lautsprecher angingen, waren wir schon längst auf den Gleisen. Die Münze war in den Schotter gesprungen, ein namenloses Plättchen Kupfer, das ich in meiner Hand einschloss. Alles hat Bestand in anderer Form, sagte mein Großvater.

Im alten Bäckerhaus meiner Familie gab es Räume, die ich nur an der Hand der Erwachsenen betrat: die verlassenen Gesellenkammern, an deren Wänden Farbfotografien von Filmstars angepinnt waren, den Keller, wo schwere Reisekisten standen und man auf Augenhöhe mit der Straße war. Jeder Raum im Haus hatte eine andere Temperatur, ein anderes Licht, einen bestimmten Geruch. Abends saßen wir in Korbsesseln am Balkon, ich weiß nicht mehr, worüber wir geredet haben. Wenn sich der Verkehr der Salzkammergutstraße, die zu dieser Zeit noch durch d