2 Elise Richter: »Eine gescheite Frau ist mir lieber als ein dummer Mann«
Weimarer Straße 83
29. Oktober 1907. »Im Hörsaale 35 der Wiener Universität nahm die erste Privatdozentin Österreichs, Fräulein Dr. Elise Richter, ihre regelmäßigen Vorlesungen auf. Fräulein Doktor Richter, die über ein sehr verständliches Organ verfügt, war in schwarzer Kleidung erschienen und ging ohneweiteres auf ihr Vorlesungsthema über. In dem zahlreichen Auditorium sah man auch viele Damen.«20
Ein bedeutender Tag. Denn zum allerersten Mal hält an der Wiener Universität eine Frau eine Vorlesung. Was für ein Moment für die Frauenbewegung! Doch dieser Aspekt interessiert Elise Richter nicht. »Ich betrat die Universität nicht als Frauenrechtlerin«21, meint sie später.
»So ganz glatt ging es übrigens mit dieser ersten Vorlesung nicht«, erinnert sich Elise Richter. »Um Zeitungslärm zu verhüten und wohlgemeinte Teilnahme, die leicht Veranlassung zu Gegendemonstrationen geben konnte, wurden Tag und Stunde des Kollegs erst am letzten Abend angeschlagen, und so gelang es, dem ›Novum‹ das häßlich Sensationelle zu nehmen und die ›weibliche‹ Antrittsvorlesung auf den Maßstab einer ›männlichen‹, wenn auch einer besonders gut besuchten, zu bringen. Ein paar Spötter hatten sich eingefunden; aber das Lachen verging ihnen. In der Angst, man könnte von mir eine seichte Plauderei erwarten oder zur Befriedigung gemeiner Neugier zu mir kommen, hatte ich ein ganz abstraktes Thema gewählt und mutete den Hörern Schwereres zu als jemals später.«22
Auch die folgende Vorlesung soll gestört werden: »Ich mußte meine Hörer mittels Postkarte benachrichtigen, daß die nächste Vorlesung um eine Stunde früher, im anstoßenden Hörsaal stattfinden müsse, und schritt nach beendeter Vorlesung, natürlich unerkannt, mitten durch die sich in größerer Zahl sammelnden Demonstranten. ›Was gibt’s denn hier?‹, fragte ein zufällig des Wegs Spazierender. ›Komm nur mit‹, hörte ich den anderen sagen, ›das wird eine große Hetz.‹«23
Elise Richter, ein erstaunlicherweise schüchterner Mensch, will einfach ihre Forschungserkenntnisse präsentieren unter dem Titel »Zur Geschichte der Indeklinabilien«. Was soll das bedeuten? Die Geschichte des Nichtbeugsamen?24 Und so geht es wohl auch den Studenten, die 1907 gegen Elise protestieren. Klerikale und studentenverbindungsoffene Kreise stehen an erster Stelle der Demonstrationen. Kurzfristig und geheim muss die Vorlesung in einen anderen Hörsaal verlegt werden, um die Demonstranten zu täuschen – das also ist der Anfang des neuen weiblichen Lehrpersonals.
Am 8. April 1933 würdigt Gisela Urban die zukunftsweisende und unbeirrbare Elise Richter anlässlich der Feier ihres 50. Semesters: »Am 29. Oktober 1907 hatte sich in einem Hörsaal der Wiener Universität eine schöne und distinguierte Frau eingefunden, nicht um als Hörerin einer Vorlesung beizuwohnen, sondern um als erste Österreicherin ihre erste Vorlesung im Bereich unserer altehrwürdigen Alma mater zu halten. Doktor