: Marie-Theres Arnbom
: Die Villen vom Wiener Cottage Wenn Häuser Geschichten erzählen
: Amalthea Signum Verlag GmbH
: 9783903441255
: Villen-Reihe
: 1
: CHF 20.60
:
: Geschichte
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein historischer Rundgang durchs Cottage Ein Villenviertel mit Grünflächen bietet dem Wiener Bürgertum ab 1872 ein attraktives neues Wohngebiet - das Währinger und Döblinger Cottage nach einer Idee des Architekten Heinrich von Ferstel. Bald siedeln sich aufstrebende Familien aus Kunst, Kultur und Wissenschaft hier an. Der Musikwissenschaftler Guido Adler, die intellektuellen Schwestern Elise und Helene Richter, die Bildhauerin Hanna Gärtner, die Ärztinnen Melanie Adler und Marianne Stein leben hier ebenso wie Felix Saltens Kinder. Später folgen Persönlichkeiten aus Industrie und Wirtschaft wie der Tabakimporteur Kiazim Emin Bey oder der Handelsvertreter und Radrennfahrer Alfred Montor. Wer ist der Schöpfer des Schlagers »Sag beim Abschied leise Servus«? Was hat das »Rote Wien« mit dem Cottage gemeinsam? Und wie legt sich der Schatten des Nationalsozialismus auch über das idyllische Cottageviertel? Dieser einzigartigen Welt von gestern widmet sich Marie-Theres Arnbom in ihrem neuen Buch, das so manch vergessener Familie ihre Geschichte zurückgibt. Mit zahlreichen Abbildungen und Karte

Marie-Theres Arnbom, Dr., geboren in Wien, ist Historikerin, Autorin, Kuratorin, Kulturmanagerin sowie Gründerin des Kindermusikfestivals St. Gilgen. Bis 2023 Direktorin des Theatermuseums in Wien. Zahlreiche Bücher und Beiträge zu zeit- und kulturhistorischen Themen. arnbom.com

2 Elise Richter: »Eine gescheite Frau ist mir lieber als ein dummer Mann«
Weimarer Straße 83


29. Oktober 1907. »Im Hörsaale 35 der Wiener Universität nahm die erste Privatdozentin Österreichs, Fräulein Dr. Elise Richter, ihre regelmäßigen Vorlesungen auf. Fräulein Doktor Richter, die über ein sehr verständliches Organ verfügt, war in schwarzer Kleidung erschienen und ging ohneweiteres auf ihr Vorlesungsthema über. In dem zahlreichen Auditorium sah man auch viele Damen.«20

Ein bedeutender Tag. Denn zum allerersten Mal hält an der Wiener Universität eine Frau eine Vorlesung. Was für ein Moment für die Frauenbewegung! Doch dieser Aspekt interessiert Elise Richter nicht. »Ich betrat die Universität nicht als Frauenrechtlerin«21, meint sie später.

»So ganz glatt ging es übrigens mit dieser ersten Vorlesung nicht«, erinnert sich Elise Richter. »Um Zeitungslärm zu verhüten und wohlgemeinte Teilnahme, die leicht Veranlassung zu Gegendemonstrationen geben konnte, wurden Tag und Stunde des Kollegs erst am letzten Abend angeschlagen, und so gelang es, dem ›Novum‹ das häßlich Sensationelle zu nehmen und die ›weibliche‹ Antrittsvorlesung auf den Maßstab einer ›männlichen‹, wenn auch einer besonders gut besuchten, zu bringen. Ein paar Spötter hatten sich eingefunden; aber das Lachen verging ihnen. In der Angst, man könnte von mir eine seichte Plauderei erwarten oder zur Befriedigung gemeiner Neugier zu mir kommen, hatte ich ein ganz abstraktes Thema gewählt und mutete den Hörern Schwereres zu als jemals später.«22

Auch die folgende Vorlesung soll gestört werden: »Ich mußte meine Hörer mittels Postkarte benachrichtigen, daß die nächste Vorlesung um eine Stunde früher, im anstoßenden Hörsaal stattfinden müsse, und schritt nach beendeter Vorlesung, natürlich unerkannt, mitten durch die sich in größerer Zahl sammelnden Demonstranten. ›Was gibt’s denn hier?‹, fragte ein zufällig des Wegs Spazierender. ›Komm nur mit‹, hörte ich den anderen sagen, ›das wird eine große Hetz.‹«23

Elise Richter, ein erstaunlicherweise schüchterner Mensch, will einfach ihre Forschungserkenntnisse präsentieren unter dem Titel »Zur Geschichte der Indeklinabilien«. Was soll das bedeuten? Die Geschichte des Nichtbeugsamen?24 Und so geht es wohl auch den Studenten, die 1907 gegen Elise protestieren. Klerikale und studentenverbindungsoffene Kreise stehen an erster Stelle der Demonstrationen. Kurzfristig und geheim muss die Vorlesung in einen anderen Hörsaal verlegt werden, um die Demonstranten zu täuschen – das also ist der Anfang des neuen weiblichen Lehrpersonals.

Am 8. April 1933 würdigt Gisela Urban die zukunftsweisende und unbeirrbare Elise Richter anlässlich der Feier ihres 50. Semesters: »Am 29. Oktober 1907 hatte sich in einem Hörsaal der Wiener Universität eine schöne und distinguierte Frau eingefunden, nicht um als Hörerin einer Vorlesung beizuwohnen, sondern um als erste Österreicherin ihre erste Vorlesung im Bereich unserer altehrwürdigen Alma mater zu halten. Doktor