Dieses Buch kommt zur richtigen Zeit. Es ist mir eine Freude, dafür ein kleines Geleitwort schreiben zu dürfen.
Seit vielen Jahren hat es mich immer geschmerzt, dass diese Konzepte der jonasschen Idiolektik eher in relativ kleinen Insiderkreisen diskutiert und genutzt wurden. Wo immer ich die Gelegenheit fand, machte ich in Seminaren, Vorträgen und sonstigen Beiträgen auf sie aufmerksam, um ihre enorm hohe Nützlichkeit zu vermitteln. Oft genug hatte ich aber den Eindruck, dass viele Adressaten meiner Hinweise diese Modelle merkwürdig und exotisch fanden.
Die stürmische Entwicklung der modernen Hirnforschung und damit verwandter Bereiche (z. B. der Embodiment-Forschung, der Priming-Forschung etc.) bringen nun auch wissenschaftlich belegbar ein wichtiges anderes Verständnis von Funktionsweisen des Gehirns. Entscheidend verändern sie das Wissen über den Stellenwert der unbewussten, intuitiven, vieldeutig anmutenden, »irrationalen« Bereiche des Erlebens, die seit der europäischen Aufklärung tendenziell abgewertet, ja oft diffamiert wurden. Und diese Erkenntnisse machen die enorme Bedeutung von Zugängen deutlich, wie sie die Idiolektik bietet.
Heute weiß man, dass gerade die Bereiche des limbischen Systems und anderer (unterhalb der Großhirnrinde angesiedelter) Teilfunktionen des Gehirns von überragender Wichtigkeit sind. Wie G. Roth klar formuliert, kann ohne die Gefühlsfeedbacks des limbischen Systems kein vernünftiges Handeln stattfinden (Roth u. Prinz 1996). Libet (1993) konnte zeigen, dass wichtige Vorentscheidungsprozesse im Zusammenhang mit unbewussten Bereichen unseres Gehirns stattgefunden haben, bevor die bewussten Bereiche davon überhaupt etwas bemerken können. Und A. Damasio bringt es prägnant so auf den Punkt, wenn er sagt, dass jemand, der seine Entscheidungen nach dem Primat der rationalen kognitiven Vernunft im Sinne der europäischen Aufklärung treffen will, eher einem Patienten mit Frontalhirnschädigung gleicht als einem flexibel und kompetent entscheidenden Menschen (Damasio 1997). Der bewusste Verstand wirkt also höchstens als eine Art Berater, der sehr nützlich und wichtig ist. Aber: Der die Entscheidungen fällende »Vorstand« der Entscheidungshierarchie sitzt im limbischen System, eine Willensfreiheit auf bewusster, willkürlicher Ebene haben Menschen nicht (Roth 2004, S. 145).
Es erweist sich also als zentral, die Prozesse im Mittel- und Stammhirn, besonders die des limbischen Systems, sorgfältig zu beachten und zu lernen, wieder intensiv und achtungsvoll mit ihnen zu kooperieren (sie direkt zu vermeiden oder zu verhindern ist ja unmöglich). Solche Kooperation kann aber nur gelingen, wenn man die »Sprache« des Mittel- und Stammhirns verstehen und nutzen kann. Dazu reicht eben die in der kognitiven Welt als »vernünftig« angesehene Zugangsweise nicht aus. Das wird schon dadurch deutlich, dass Mittel- und Stammhirn entwicklungsgeschichtlich wesentlich älter sind als die Großhirnrinde und ungefähr dem Entwicklungsstand der Reptilien (Stammhirn) und dem der frühen Säugetiere (Mittelhirn) entsprechen, worauf schon MacLean, der Begründer der Forschung zum limbischen System, hingewiesen hat. Bei Alligatoren, Kühen und ähnlichen Verwandten von uns (hirngeschichtlich gesehen) wird aber eben nicht geredet, sondern »gebildert«. Und hier erweist sich die besondere Stärke der Idiolektik, denn ich kenne kein anderes Modell in der Psychotherapie, welches so prägnant die »Logik«, Sinnhaftigkeit und Klugheit archaischer Prozesse und damit auch ihre Nutzbarkeit zugänglich macht wie sie.
Zum ersten Mal kam ich mit den Konzepten von David Jonas, der Paläoanthropologie und der Idiolektik, in der Zeit ab 1983 in Berührung. Damals waren sie nur einem sehr kleinen Kreis bekannt. Ich arbeitete zu der Zeit bei Helm Stierlin und hatte das Vergnügen und die Chance, zusammen mit ihm und meinen Kollegen dort (vor allem Gunthard Weber und Fritz B. Simon) an der Entwicklung und Verbreitung systemischer Konzepte im deutschsprachigen Raum quasi Pionierarbeit machen zu können. Ausgelöst durch die Auseinandersetzung mit ihren Wurzeln und ihrer Geschichte, hatte ich dann Ende der 1970er-Jahre noch das große Glück, in Phoenix mit Milton Erickson selbst arbeiten und lernen zu dürfen, dem großen »Vater« der kompetenz- und ressourcenorientierten Hypnotherapie und Psychotherapie. Zusammen mit Stephen Gilligan (einem anderen Schüler von Erickson) konnte ich herausarbeiten, dass man Symptome als Ausdruck von ungewollt induzierten selbsthypnotischen Prozessen verstehen und behandeln kann. Auch sie sind ja Ausdruck unwillkürlicher Prozesse, nur eben ungewünschter, belastender. Wir konnten zeigen, dass sie ausgelöst werden durch ähnliche Prozesse wie die, welche man nutzt, um hilfreiche Trancezustände in der Therapie anzuregen. Dies war eine enorm nützliche Zugangsweise. Zunächst war sie nicht so gut vermittelbar, sowohl bei den Klienten als auch bei Kollegen.
Da fielen mir bei meiner Suche nach hilfreichen Modellen die Arbeiten von David Jonas und Doris Jonas in die Hände. Sofort faszinierten sie mich und zeigten mir hervorragende neue Wege auf, meine Arbeit mit systemischen und hypnotherapeutischen Konzepten (aus denen ich den hypnosystemischen Ansatz entwickelt habe) zu verfeinern und das Spektrum nützlicher Interventionen wesentlich zu erweitern. Manchmal geriet ich fast in ehrfürchtiges Staunen, oft war ich auch emotional sehr berührt davon, wie mit diesen Konzepten ein äußerst achtungsvolles und würdigendes Verständnis von sehr leidvollen Prozessen entwickelt werden kann.
Mit den aus der Paläoanthropolgie abgeleiteten Konzepten der Idiolektik kann schnell verstanden und vermittelt werden, dass leidvolle Prozesse Ausdruck von Kompetenzen und Lösungsstrategien aus unserem archaischen Erbe sind. Sie sind überhaupt erst die Grundlage dafür, dass sich unsere Art so erfolgreich entwickeln konnte. Es wird damit deutlich, dass die Probleme und das Leid nicht von diesen Prozessen selbst kommen, sondern dadurch, dass zwischen kognitiv orientierter bewusster Wahrnehmung (den Großhirnrinden-Prozessen) und den dominierenden Prozessen in Stamm- und Mittelhirn keine kooperative Kommunikation, sondern antagonistische Prozesse vorherrschen. Erst diese mangelnde Kooperation bringt die leidvollen Ergebnisse. Denn das bewusste, kognitiv orientierte »Ich« versucht, die unwillkürlichen Prozesse, die gegen seine Zielvorstellungen wirken, zu bekämpfen und zu beherrschen. Oft unterliegt es den stärkeren und schnelleren Prozessen des Unwillkürlichen, erlebt sich dann als machtloses Opfer und versinkt in Angst, Verzweiflung, Depression oder Selbstentwertung und Selbsthass.
Die Konzepte der Idiolektik sind ideal dafür geeignet, die Dynamik der unwillkürlichen Prozesse zu beschreiben, die gerade in den mehr unbewusst ablaufenden Bereichen des Stamm- und Mittelhirns dominierend wirken. Insofern halfen sie mir optimal, Brücken zu bauen zwischen der Hypnotherapie, die sich ja auch mit Unwillkürlichem beschäftigt, und der systemischen Konzeption. In dieser wird davon ausgegangen, dass jedes Phä