: Jon Fosse, Linus Schöpfer, Martina Läubli
: Gespräche mit einem Schweiger Jon Fosse, befragt von Martina Läubli und Linus Schöpfer
: Kampa Verlag
: 9783311704768
: 1
: CHF 14.90
:
: Essays, Feuilleton, Literaturkritik, Interviews
: German
: 128
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Jon Fosse ist der Mystiker unter den Schriftstellern. Was liegt hinter den Dingen? Was macht den Menschen im Grunde aus? Solche Fragen treiben den Norweger um, der 1959 im Küstenstädtchen Haugesund geboren wurde. Seine Theaterstücke und Romane entwickeln einen hypnotischen Sog - dies auch, weil die Stille, das Unausgesprochene bei ihm stets ebenso präsent sind wie die Worte. Mit dem Nobelpreis ist Fosse im Literaturolymp angekommen. Doch zuvor durchlebte er existenzielle Krisen: Ein schwerer Unfall konfrontierte ihn bereits als Kind mit dem Tod, als Erwachsener verfiel er dem Alkohol. Nach einer spirituellen Odyssee fand er schließlich im Katholizismus seine metaphysische Obhut. Heute sagt Fosse: »Alles, was ich schreibe, ist eine Art Gebet.« Kurz vor Weihnachten 2022 trafen Martina Läubli und Linus Schöpfer den Schriftsteller erstmals in Oslo, um mit ihm über sein Schreiben, seinen Glauben und sein Leben zu sprechen. Nach dem Gewinn des Nobelpreises folgten weitere Treffen in Fosses Zweitdomizil in Österreich. Diese Gespräche fügen sich zu einem eindrücklichen intellektuellen Porträt zusammen.

Jon Fosse, geboren 1959 in Haugesund an der norwegischen Küste, studierte Vergleichende Literaturwissenschaften und lehrte an der Akademie für Kreatives Schreiben in Hordaland. Er ist Dramatiker, Prosa- und Kinderbuchautor, Lyriker, Essayist und Übersetzer. Sein Werk umfasst über fünfzig Veröffentlichungen, unter anderem die Romane Melancholie, Der andere Name und Ich ist ein anderer. 2007 wurde ihm das Ritterkreuz des französischen Ordre national du Mérite verliehen; 2023 wurde er »für seine innovativen Theaterstücke und Prosa, die dem Unsagbaren eine Stimme verleihen«, mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

Nobelpreis


Zur Mittagszeit wird er emporgehoben in den Olymp, hinauf zu Thomas Mann, Ernest Hemingway und Albert Camus. Es ist der5. Oktober2023, kurz nach13 Uhr, und Jon Fosse wird in Stockholm der Nobelpreis für Literatur zugesprochen.

Als wir ihn ein halbes Jahr später in Hainburg wieder treffen, steht sein Leben noch ganz im Zeichen dieser größtmöglichen Ehrung. Tags zuvor hat er sich mit dem Gemeinderat von Hainburg getroffen, der ihn mit einem Platz an der Donau würdigen möchte. Jahrelang hat er bereits in der Stadt gelebt, was aber kaum jemandem aufgefallen ist. Fosse bleiben die Absurditäten seines neuen Ruhms nicht verborgen, zugleich bemüht er sich um einen höflichen Umgang mit den vielen Begehrlichkeiten – und darum, sich selbst nicht verrückt machen zu lassen.

Jon Fosse hat uns als Treffpunkt das alte Kloster von Hainburg vorgeschlagen. Vom13. bis ins16. Jahrhundert beteten hier die Franziskaner. Doch die damalige Frömmigkeit ist über die Jahre verschwunden, stattdessen hat die allmähliche Säkularisierung sich im Gebäude eingeprägt. Erst diente das Kloster als Proviantlager, dann wurden seine Räume von einer Tabakfabrik genutzt, schließlich folgte die Umwandlung in ein Viersternehotel.

Es ist früher Nachmittag, ein sonniger, aber kühler Frühlingstag. Wir sitzen mit Jon Fosse am Tischchen im Innenhof. Fosse trägt Bart, Pferdeschwanz und Lederjacke und erinnert ein wenig an einen Veteranen einer nicht allzu furchterregenden Rockergang. Unsere Gespräche mit Fosse beginnen bei der brennenden Aktualität und führen irgendwann, unweigerlich, zu den ewigen Fragen: zu Gott und zum Glauben. Fosse beherrscht einige Sprachen, darunter auch das Deutsche, aus dem er etwa Franz Kafka ins Nynorsk übertragen hat. Eine Fremdsprache, die er noch etwas besser spricht, ist allerdings das Englische, in dem wir uns schließlich auch unterhalten.

Heute Morgen war in der WochenzeitungDie Zeit ein Interview mit dem Theatermacher Thomas Ostermeier zu lesen – jener Ostermeier, der Ihre Stücke im Jahr2000 als Erster auf Deutschlands Bühnen gebracht hat. Es war nicht zu überlesen: Der Mann ist total hoffnungslos. Die Barbarei sei über uns hereingebrochen, meinte er. Ostermeier ist nicht allein mit seiner Resignation. Sie entspricht dem Zeitgeist.

Ja, wir leben gerade in dunklen Zeiten: Ukraine, Gaza … ein Dritter Weltkrieg ist nicht mehr so abwegig. Wenn sich dieNATO nun zu sehr in der Ukraine engagiert, wird es tatsächlich so weit kommen. Umso wichtiger ist es jetzt, zu versuchen, beide Seiten zu verstehen, trotz allem. Nur dann ist ein Frieden möglich.

Elfriede Jelinek und Herta Müller, die beiden deutschsprachigen Literaturnobelpreisträgerinnen, sehen das anders: Sie haben in diesen Tagen eine Petition unterzeichnet, die mehr Unterstützung für die Ukraine fordert.

Es ist selbstverständlich, dass ein Überfall auf ein unabhängiges Land nicht akzeptabel ist. Ich versuche nur zu überlegen, wie das Leid beendet werden könnte, das dieser Krieg verursacht. Ich teile die Ansicht von Papst Franziskus: Die Parteien müssen sich zu Verhandlungen treffen. Denn solange es nicht zu einem Friedensabkommen kommt, kann dieser Krieg ewig weitergehen. Und möglicherweise wird er dann irgendwann zu einem Atomkrieg eskalieren.

Woher nehmen Sie Hoffnung im Alltag, trotz der Kriege?

Die meisten Menschen sind ja nicht direkt von diesen Kriegen betroffen. Und an einem uralten Konflikt wie jenem zwischen den Israeli und den Palästinensern können sie sowieso nichts ändern. Was die Menschen also tun sollen? Nun, sie sollen einfach weiterleben! Sie sollen so weitermachen wie bisher: zur Arbeit gehen, sich um die Kinder kümmern. Und das tun die Leute ja auch, glücklicherweis