Die Westküste Europas ist erreicht, und eine halbe Stunde später blicke ich durch das Flugzeugfenster auf Wald. Heimatliche Gefühle durchströmen mich, begeistert zeige ich meinem Försterkollegen aus Gambia die Landschaft unter uns. Das ist Deutschland! Wir Förster seien stolz auf unsere nachhaltigen, naturnahen und ertragreichen Wälder!
Mein Kollege schaut eine Weile schweigend aus dem Fenster, dann wendet er sich mir zu und sagt: „Ich sehe da unten keinen Wald, ich sehe Plantagen.“ Im ersten Moment bin ich irritiert, dann werde ich nachdenklich.
Wer hat dich, du schöner Wald, / Aufgebaut so hoch da droben … Eichendorffs Gedicht „Der Jäger Abschied“ beschreibt das innige Verhältnis, das wir Deutsche zu unserem Wald haben. Der Wald ist ein Wohlfühlort, ein Ort der Seele, des Ursprungs. Mit Wald verbinden wir Heimat schlechthin. Quer durch alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen geht man leidenschaftlich gerne „raus in die Natur“, und der Ausflug ins Grüne, der Waldspaziergang, ist geradezu typisch für uns Deutsche.
Anders jedoch, als vor allem im Dritten Reich propagiert, ist unsere positive Einstellung zum Wald nicht seit Urzeiten in der „Volksseele“ verwurzelt; sie hat auch nichts mit einem wie auch immer gearteten intimeren Naturverständnis von uns Deutschen zu tun. Sie ist vielmehr eine Reaktion auf die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts und auf den damit verbundenen, sich stark beschleunigenden Wandel, der als bedrohlich empfunden wurde: Während alles sich veränderte, erschien der Wald als ein Hort der Beständigkeit. In ihm schien die gute alte Zeit bewahrt geblieben zu sein.
Der Wald, der im 19. Jahrhundert besungen und gemalt wurde, war indes schon lange kein Urwald oder Naturwald mehr. Die Wälder, die wir auf Gemälden dieser Zeit erkennen können, sind das Ergebnis „moderner“ Forstwirtschaft. Caspar David Friedrichs GemäldeDer Chasseur im Wald zeigt einen Jäger inmitten einer Fichtenplantage, wie man sie bis heute in den Mittelgebirgen findet: Die Bäume stehen ordentlich in Reih und Glied. Kein Wunder, wurden sie doch von preußischen Förstern gepflanzt. Alle Fichten sind gleich hoch und gleich alt, unter ihnen wächst kein Kraut mehr. Der Wald, den wir Deutschen so innig lieben, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein auf maximalen Holzerlös optimierter Wirtschaftswald. Und dies bereits im 19. Jahrhundert!
Die moderne Forstwirtschaft ist, wie der Diesel- und der Ottomotor, eine Errungenschaft unseres Landes, auf die wir nicht zu Unrecht stolz sind. Wir haben den nachhaltigen Waldbau erfunden: Wir ernten nur so viel Holz, wie nachwächst. Die deutsche Forstwirtschaft ist getragen von grenzenlosem Optimismus und dem Glauben an den Fortschritt. Sie markiert wie die Industrialisierung eine Aufbruchszeit und ist Kennzeichen einer neuen Epoche, die sich mit aller Kraft den Naturwissenschaften, den verbesserten Methoden der Landvermessung und der Mathematik zuwandte. Ihr Ziel ist bis heute ein möglichst großer Holzertrag. Dementsprechend ist „Waldbau“ die wichtigste Disziplin der Forstwirtschaft, sie bedeutet so viel wie „Landwirtschaft mit Bäumen“.
Unsere Plantagenwälder lieben wir deswegen so sehr, weil wir kaum etwas anderes kennen. Wilde, ursprüngliche N