[7]PHILOSOPHISCHE VORLESUNG
FREIHEIT UND GROLL
VON P. F. STRAWSON
Gastwissenschaftler derAkademie
Gelesen am 9. Mai 1962 Einige Philosophen behaupten, sie wüssten nicht, was die These des Determinismus besagt. Andere behaupten oder implizieren, sie wüssten dies sehr wohl. Von diesen wiederum behaupten manche – vielleicht diePessimisten –, dass die Begriffe der moralischen Verpflichtung und Verantwortung tatsächlich keine Anwendung finden würden, und dass die Praktiken des Bestrafens und Vorwerfens sowie die Praktiken, moralische Verurteilung und Billigung auszudrücken, tatsächlich nicht gerechtfertigt wären, sollte die These wahr sein. Andere – vielleicht dieOptimisten – behaupten, dass diese Begriffe und Praktiken auf keinen Fall ihreraison d’être verlieren, wenn die These des Determinismus wahr sein sollte. Manche behaupten sogar, dass die Rechtfertigung dieser Begriffe und Praktiken erfordert, dass die These wahr ist. Noch eine weitere Meinung wird vertreten, die jedoch seltener direkt geäußert wird: die Meinung, so könnte man sagen, des genuinen Moralskeptikers. Sie besagt, dass die Begriffe der moralischen Schuld, des Vorwurfs und der moralischen Verantwortung an sich unstimmig seien und dass wir dies einsehen, wenn wir die Konsequenzen sowohl der Wahrheit als auch der Falschheit des Determinismus bedenken. Vertreter dieser Meinung[9]stimmen den Pessimisten zu, dass diese Begriffe keine Anwendung haben, sollte der Determinismus wahr sein, und fügen lediglich hinzu, dass sie eine solche Anwendung auch dann nicht haben, wenn der Determinismus falsch sein sollte.Sollte ich gefragt werden, zu welcher Gruppe ich gehöre, müsste ich antworten, dass es die erste ist, also die Gruppe derer, die nicht wissen, was die These des Determinismus besagt. Das hält mich jedoch nicht davon ab, Sympathien für die anderen Positionen sowie den Wunsch zu hegen, diese miteinander zu versöhnen. Doch müsste Unwissenheit solche Sympathien nicht eigentlich mit gutem Grund ausschließen? Natürlich hat man, wenn auch noch so dunkel, eine gewisse Ahnung – einen Begriff, wovon da die Rede ist. Dieser Vortrag versucht, einen Schritt in Richtung einer Versöhnung zu machen; so verstanden wird er wohl jedem als wenig durchdacht erscheinen.
Doch besteht überhaupt irgendeine Möglichkeit, zwei so einander entgegengesetzte Positionen wie diejenige der Pessimisten und die der Optimisten bezüglich des Determinismus miteinander zu versöhnen? Nun, vielleicht könnte es eineformale Zurücknahme auf der einen Seite für ein substantielles Eingeständnis auf der anderen geben. Nehmen wir an, die Position des Optimisten wäre wie folgt bestimmt: (1) die Tatsachen, wie wir sie kennen, zeigen nicht, dass der Determinismus falsch ist; (2) die Tatsachen, wie wir sie kennen, liefern eine angemessene Grundlage für die[188] Begriffe und Praktiken, von denen der Pessimist das Gefühl haben könnte, dass sie durch die mögliche Wahrheit des Determinismus gefährdet sind. Nun könnte es durchaus sein, dass der Optimist hierin richtig liegt, dass er jedoch dazu neigt, sowohl eine unangemessene[11]Erklärung der Tatsachen zu liefern, wie wir sie kennen, als auch eine unangemessene Erklärung davon, wie diese Tatsachen eine angemessene Grundlage für die fraglichen Begriffe und Praktiken bieten. Die Gründe, die er dafür angibt, dass diese Grundlage angemessen ist, könnten selbst unangemessen sein und etwas Wesentliches auslassen. Es wäre möglich, dass der Pessimist zu Recht bemüht ist, diese wesentliche Sache zurückzugewinnen, aber von dieser Bemühung ergriffen meint, hinter die Tatsachen, wie wir sie kennen, zurückgehen zu müssen; dass er das Gef