: Annette Spratte
: Das Holz, aus dem wir geschnitzt sind
: Francke-Buch
: 9783963627835
: 1
: CHF 13.30
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Westerwald, 18. Jahrhundert: Schon früh entdeckt Karl seine Leidenschaft für die Schnitzerei. Durch seine feinsinnige Art zieht er immer wieder den Spott seiner Brüder auf sich. Nur sein Großvater Jakob ermutigt ihn und vertraut ihm sogar ein Geheimnis an. Als der alte Mann stirbt, spitzen sich die Spannungen zwischen Karl und seinen Brüdern zu, bis es zu einer Tragödie kommt. Plötzlich auf sich allein gestellt, setzt Karl alles daran, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Dabei begibt er sich auf Spurensuche, denn das Vermächtnis seines Großvaters steckt voller Rätsel ...

Annette Spratte lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Westerwald bei Altenkirchen. Aus einer tiefen Liebe zum geschriebenen Wort heraus arbeitet sie als Autorin und Übersetzerin. Ihre im Westerwald angesiedelten historischen Romane erfreuen sich großer Beliebtheit. Daneben hat sie auch in anderen Genres veröffentlicht, u.a. die Kinderbuchreihe Jabando. www.annettespratte.org Instagram: autorinannettespratte Facebook: Annette Spratte

Kapitel 1

Nister, am 12. September 1728

»Wohin gehen wir, Großvater?« Karl passte seine Schritte denen des alten Mannes an, der sich laut schnaufend auf seinen Gehstock stützte. Es fiel Karl schwer, den Waldweg nicht entlangzurennen, wie er es normalerweise tat. Er liebte es, durch den Wald zu streifen, von Stein zu Stein zu springen, über umgestürzte Baumstämme zu balancieren und seine kratzige Kehle mit dem frischen Wasser aus einem der sprudelnden Bäche zu kühlen. Hier draußen war er frei. Frei von lästigen Aufgaben, frei von dem Spott seiner Geschwister oder der Schelte seines Vaters, der ihm immer wieder vorhielt, wie er als Zwölfjähriger zu sein hatte.

Für seinen Großvater war er jedoch gern bereit, sich zurückzunehmen. Großvater schimpfte nie mit ihm. Sie redeten nicht viel, was Karl manchmal bedauerte. Er genoss es, dass er bei dem alten Mann einfach nur er selbst sein durfte. Das war schon immer so gewesen.

Jetzt verweilte Jakob einen Moment und deutete mit seinem Stock auf den großen Felsen, der wie eine Nase aus dem Berg ragte. Karl nickte. Er wusste, dass es dort eine Höhle gab. Als er noch kleiner gewesen war, hatte er vor den Fledermäusen Angst gehabt, die darin wohnten. Sie waren ihm noch immer etwas unheimlich, aber zusammen mit Großvater Jakob fürchtete er sich nicht.

Sie mussten noch zwei Pausen einlegen, bis sie den Höhleneingang erreicht hatten. Eine beklemmende Enge legte sich um Karls Herz. Seinem Großvater ging es nicht gut. So langsam war er noch nie gegangen und er hatte auch noch nie so schwer geatmet. Nun lehnte er sich an die Felswand, das Gesicht kreideweiß, derweil ihm die Schweißtropfen von der Stirn perlten. Er hielt den Gehstock fest umklammert, obwohl er die Wand im Rücken hatte.

Nach einer Weile beruhigte sich seine Atmung und er sah Karl eindringlich an. »Zwei große Schritte hinein, dann siehst du links einen Stein, etwa auf Augenhöhe. Schau, ob du ihn findest, Karl.«

Karl machte zwei große Schritte in die Felsnische und suchte die Wand ab. Er fand nichts.

»Schau genau hin.«

»Da ist nichts.« Noch während er es sagte, f