Trauer als Anpassungsprozess
Rogers Persönlichkeitstheorie lautet: „Der Mensch wird das, was er ist […].“(28) Mit dieser hoffnungsgebenden Haltung gibt Rogers zu verstehen, dass uns unbewusst eine Kraft innewohnt, schwere Krisen zu überstehen. Das Gedicht „Bitte“ von Hilde Domin drückt diese Handlungsmöglichkeit – dass Menschen die Fähigkeit besitzen, konstruktiv mit allen Aspekten ihres Lebens fertigzuwerden – kreativ aus.
Bitte
Wir werden eingetaucht
und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen
wir werden durchnässt
bis auf die Herzhaut
der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht
der Wunsch den Blütenfrühling zu halten
der Wunsch verschont zu bleiben
taugt nicht
es taugt die Bitte
dass bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe
dass die Frucht so bunt wie die Blüte sei
dass noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden
und dass wir aus der Flut
dass wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst
entlassen werden.(29)
Hilde Domin
Warum Trauernde Unterstützung suchen
Wenn wir einen geliebten Menschen verlieren, dann verlieren wir ein Stück von uns selbst. „Man tritt in einen Prozess ein, in dem ein durcheinandergeworfenes Puzzle mit fehlenden Teilen wieder zusammengesetzt werden muss, um am Ende ein sinngebendes Bild zu erkennen.“(30) Bis wieder alle Puzzlestücke passen, ist eine prozesshafte Auseinandersetzung mit dem Verlust notwendig. Dies ist eine Anpassungsleistung mit den unterschiedlichen Formen der Puzzlestücke, bis alles wieder in ein (neues) Bild passt – eines, das den Verlust integriert hat. Das heißt, Trauern ist eine großartige Anpassungsleistung zu der wir Menschen fähig sind, die uns dennoch herausfordert und manchmal überfordert.
Trauer als Stress
Der Tod eines Kindes ist eines der größten traumatischen Lebensereignisse, das Auswirkungen auf die mentale und physische Gesundheit der Eltern hat.(31) Viele Eltern berichten