1 Einführung
Lassen Sie uns gemeinsam in Ihre Zukunft reisen. Stellen Sie sich vor, dass Sie am Ende Ihres Erwerbslebens stehen. Die Erinnerungen an die Coronapandemie sind über die Jahre blasser geworden. Sie haben es geschafft! Sie sind gerade in Rente gegangen: Die Vögel zwitschern in Ihrem Garten und Sie sitzen mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin bei einem Glas Rotwein zusammen. Sie schmecken den Wein in Ihrem Mund und spüren die Sonne in Ihrem Gesicht. Sie geraten ins Plaudern und Ihre Gedanken beginnen zu wandern. Sie schauen auf Ihr Leben zurück und in Ihre Zukunft hinein.
Sie sind ein Mann? Dann bleiben Ihnen statistisch gesehen noch 6,6 Jahre, in denen Sie Ihr Leben mit wenigen gesundheitlichen Beschwerden genießen können. Als Frau können Sie sich statistisch betrachtet über diesen Zustand noch ein halbes Jahr länger freuen (Ehleis, 2014). Danach beginnt es wehzutun, und die letzte Phase Ihres Lebens beginnt.
Was haben Sie in Ihrem Leben bis zu diesem Zeitpunkt getan?
Welcher Tätigkeit haben Sie am meisten Zeit gewidmet?
Auf dem Spitzenplatz sollte das Schlafen stehen. Zumindest hoffe ich das für Sie. Direkt dahinter wird die Tätigkeit landen, weswegen Sie dieses Buch gekauft haben: Arbeit. Lassen Sie uns doch einmal berechnen, wie viele Stunden Sie gearbeitet haben werden, bevor Sie entspannt den Vögeln beim Zwitschern zuhören dürfen. Eine Beispielrechnung für einen »Durchschnittsmenschen« (Sie werden in diesem Buch lernen, dass es davon immer weniger gibt) mit 45 Arbeitsjahren und einer Vollzeitstelle lässt sich wie folgt durchführen: 2024 gibt es zum Beispiel in Berlin 252 potenzielle Arbeitstage. Durchschnittlich haben Deutsche 30 Urlaubstage (die Griechen übrigens nur 23) (Statista, 2015a) und pro Jahr sind Deutsche durchschnittlich 11 Tage lang krank (Statistisches Bundesamt, 2023). Wir kommen also auf 252 Arbeitstage ‒ 30 Urlaubstage ‒ 11 Krankheitstage = 211 Arbeitstage. Diese müssen wir mit den 45 Jahren und acht Stunden pro Arbeitstag multiplizieren und kommen auf das Ergebnis:
45 Jahre × 211 Arbeitstage × 8 Stunden = 75.960 Stunden
Dann machen Vollzeitangestellte in Deutschland auch noch 2,4 bezahlte und 3 unbezahlte Überstunden pro Monat (IAB, 2014). Diese Berechnung muss aber nicht noch weiter verfeinert werden. Sie reicht.Warum rechne ich Ihnen das vor? Ich wollte zu diesen 75.960 Stunden kommen. Ich finde, dass diese Zahl das beste Argument für ein Buch über gute Arbeit ist. Wenn Sie und viele Ihrer Mitarbeitenden und Kolleg:innen 75.960 Stunden in ihrem Leben mit einer Tätigkeit verbringen, dann sollte doch alles dafür getan werden, dass diese Tätigkeit möglichst gut gestaltet wird.
Sie sind Personaler:in oder Führungskraft und Ihnen reicht dieses Argument nicht, um dieses Buch weiterzulesen? Zum einen können Sie zu den 75.960 Stunden noch ein paar großzügig drauflegen. Ein Abteilungsleiter oder eine Abteilungsleiterin arbeitet durchschnittlich etwa drei Stunden pro Tag mehr als ein normaler Tarifangestellter (Neuberger, 2002). Auch Sie, liebe Führungskraft, sind ein Mensch und sollten in den Genuss guter Arbeit kommen. Aber es gibt auch andere Gründe: Gute Arbeit ist gut für Ihr Unternehmen, häufig kurzfristig und immer langfristig. Als Kern guter Arbeit und als Ziel von New Work betrachte ich in diesem Buch psychologisches Empowerment.
Psychologisches Empowerment
Psychologisches Empowerment setzt sich aus vier Facetten zusammen: dem Erleben vonKompetenz, Bedeutsamkeit, Selbstbestimmung undEinfluss während der Arbeit. Diese vier Facetten bilden zusammen das Gefühl von psychologischem Empowerment.
Das führt zu Konsequenzen, die Sie vermutlich gern in Ihrem Unternehmen verwirklicht sehen wollen (siehe Kapitel 6).Was brauchen Sie?
Mitarbeitende, die
zufrieden sind?
leistungsfähig sind?
mehr tun, als sie müssten?
sich mit ihrem Unternehmen identifizieren?
nicht bei einem Angebot der Konkurrenz sofort wechseln?
innovative Ideen einbringen?
psychisch gesund sind?
später in Rente gehen?
Das können Sie haben, wenn alle mitmachen, Sie sich anstrengen und gute Arbeit mit Blick auf das psychologische Empowerment der Mitarbeitenden in Ihrem Unternehmen verwirklicht wird (siehe Kapitel 8). Und dann packe ich Ihnen tatsächlich, wie beim Metzger, noch ein kleines Extra in die Tüte. Und es ist keine Paprikalyoner, sondern stattdessen: Sex-Appeal! Gute Arbeit wirkt anziehend. Wenn sich herumspricht, dass man bei Ihnen gut arbeiten kann, dann möchten die besten Absolvent:innen bei Ihnen beschäftigt sein und nicht bei der Konkurrenz. Ihre Arbeitgebermarke profitiert von guter Arbeit und damit auch der Erfolg Ihres Unternehmens. Endlich mal dem fiesen Konkurrenzunternehmen aus der Nachbarstadt die besten Leute wegschnappen. Das geht mit psychologischem Empowerment.
Sie sind eher am großen Ganzen interessiert? Sie sind Volkswirt:in? Politikwissenschaftler:in? Soziolog:in? Oder gar Politiker:in? Ein bisschen Hoffnung kann ich auch Ihnen mit diesem Buch machen. Zunächst einmal kommen die positiven Konsequenzen guter Arbeit für Unternehmen und Mitarbeitende, wie Sie sich denken können, auch irgendwann der Gesellschaft zugute. Innovative Menschen kurbeln mit ihren Ideen die Wirtschaft an. Erfolgreiche Unternehmen zahlen mehr Steuern. Menschen, denen es gut geht, belasten weniger stark die Krankenkassen und die Deutsche Rentenversicherung.
Aber es gibt auch ein anderes Argument, das aus einer gesellschaftlichen Perspektive für gute Arbeit spricht. Blickt man in die Geschichte der Aufstände und sozialen Unruhen in Deutschland, so hatten viele auch etwas mit dem Thema gute Arbeit zu tun. Der Bauernaufstand (1525) richtete sich gegen die katast