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Wir waren pünktlich. Überpünktlich. Um genau zu sein, waren wir fünf Minuten vor der Zeit.
»Ich hole mir ein Glas Milch«, sagte ich.
»Wir haben Krieg. Es gibt keine Milch«, entgegnete Mutter.
»Aber ich habe vorhin welche in der Küche gesehen.«
»Die ist für die Melange deines Vaters, nicht für dich.«
Tante Minna tätschelte mir die Hand. »Sei nicht traurig, Annerl, es kommen wieder bessere Zeiten.«
Sie war Mutters jüngere Schwester, gleichzeitig deren molligere und freundlichere Ausgabe. Nach meiner Geburt, vor mehr als zwanzig Jahren, war sie zu uns gezogen, um Mutter bei der Versorgung ihrer Kinder zu unterstützen, und geblieben. Ich lächelte ihr zu.Bessere Zeiten. Natürlich. Aber wann, und für wen?
Wir warteten auf Papa – Mutter, Tante Minna und ich, die verstaubten Reste unserer einst so vielköpfigen, lebhaften Familie –, so wie wir jeden Mittag auf ihn warteten: fünf Minuten vor der Zeit, damit das Essen um Punkt eins aufgetragen werden konnte. Auf keinen Fall durfte es zu einer Verzögerung kommen, durfte Papas Tagesablauf durcheinandergerat