Freitag, 21. Juli 2023 – Ost-Berlin, Hochsicherheitsgefängnis Hohenschönhausen
»Liegt das eigentlich bei Ihnen in der Familie? Dieses Pseudo-Revoluzzertum? Dieser Kampf für das, was Ihresgleichen Freiheit nennt?« Ulrich Kaulitz ließ sich das Wort »Freiheit« mit ironisierendem Unterton auf der Zunge zergehen, so als sei es eine Art Floskel. Perry antwortete nicht. Er wusste, was jetzt wieder folgen sollte: dieses ermüdende Spiel mit den Gefühlen, das Bohren in Wunden. Immerhin musste er das jeden Tag über sich ergehen lassen. Wenn Kaulitz selbst das Verhör nicht führte, war es irgendein anderer Uniformträger.
»Merken Sie denn nicht, dass Sie gescheitert sind? Warum können Sie nicht ein anständiger Bürger sein? – Sie sind doch ein kluger Bursche. Die Deutsche Demokratische Republik braucht Menschen wie Sie!«
Der Generalmajor, ein stämmiger Mann mit schütterem weißem Haar, ließ nicht nur Perry täglich aus der Einzelzelle in diesen Verhörraum bringen. Wie viele Systemgegner, Querulanten, Imperialisten er schon in diesem Raum verhört hatte – stunden-, ja tagelang. Perry war eine der besonders harten Nüsse. Kaulitz mochte solche Herausforderungen – zumindest dann, wenn sie irgendwann zu Erfolgen führten.
Es waren inzwischen vier oder fünf Stunden vergangen. Auf dem harten Stuhl spürte Perry sein Gesäß nicht mehr, ihm taten die Beine weh. Niemand gab ihm etwas zu trinken. Perry wusste nicht, wie lange er das noch durchhalten würde. Von Tag zu Tag fiel es ihm schwerer, sich auf diesem Stuhl zu halten. Doch sein Wille war stark. Er dachte einfach nur an seinen Vater – und stärkte damit seinen Kampfeswillen. Oder er schwärmte von seiner großen Liebe und milderte mit den Gedanken an sie die Schmerzen.
»Ihre Schwester studiert. Aber es könnte der Tag kommen, an dem sie an der Universität nicht mehr erwünscht sein wird. Das könnte schon morgen sein. Ich muss nur einmal zum Telefon greifen. Also strapazieren Sie meine Geduld nicht zu