Kapitel 1
Es lebe der Mord
Potztausend, der Gärtner war es!
Klaas Heiland schlug das Buch, in dem er geblättert hatte, so fest zu, als müsse er sich gegen es wehren. Dann seufzte er. Warum denn immer der Gärtner? Fiel den Verfassern dieser Kriminalromane nichts Neues mehr ein? Musste alles auf mordlüsterne Botaniker hinauslaufen? Herr, erbarme dich!
Es war Freitagnachmittag in Sonntal am See, Heilands ebenso idyllischer wie übersichtlicher Gemeinde im bayerischen Nirgendwo. Nachdem er das sonntägliche Hochamt vorbereitet hatte, war der einundsechzigjährige Dorfpastor in die neue Leihbücherei weitergezogen. Diese hatte erst vor wenigen Wochen eröffnet und lag in der Nähe des Sportplatzes. Jenny Jessen, die Direktorin der hiesigen Grundschule, führte sie ehrenamtlich, und für die passionierte Leseratte Heiland gehörte die Sonntaler Lesegrube schon jetzt zu den schönsten Orten dies- und jenseits des Messwein-Regals.
Wenn nur nicht immer diese uninspirierten Romane wären, dachte er. Seufzend stellte er das Buch, in dem er geblättert hatte, zurück ins Regal und nahm sich ein zweites. Ein Gärtner nach dem anderen. Ob ich die reizende Frau Jessen mal fragen soll, wo die guten Bücher stehen?
Zwei Kinder in Fußballtrikots liefen lachend durch den Raum und rissen ihn aus seinen Gedanken. Heiland kannte sie nur vom Sehen, denn sie waren noch zu jung für seinen Religionsunterricht – und erst recht für die Erstkommunion. Was sie außerdem waren, ließ sich wohl am besten mit »wild« beschreiben. Das dachte wohl auch die sichtlich angestrengte Mutter, die ihnen auf dem Fuße folgte und Heiland dabei einen entschuldigenden Blick zuwarf.
Auf den Blick folgte … ein Bürgermeister.
»Herr Heiland«, grüßte Moritz Mindenfeld, als er den Dorfpastor bemerkte. Er hatte nichts mit seinen drei Vorgängern zu tun, kam nur aus derselben Richtung. Und er lächelte. »Sie auch hier? Na, die Welt ist klein, hm?«
»In Sonntal absolut«, erwiderte Heiland und reichte dem jüngeren Mann die Hand. »Fuchs und Hase und so weiter …«
Mindenfeld war kein unsympathischer, aber auch kein einfacher Mensch. Der gebürtige Sonntaler – und ehemalige Olympiasportler – litt an einer Krankheit, die sich »blinder Aktionismus« nannte. So hatte er es sich zur heiligen Aufgabe gemacht, den beschaulichen Ort am See zu einem Szenetreff der Reichen und Schönen zu machen. Fast alle seine politischen Ideen und Ambitionen drehten sich um die Frage, wie er seine Heimat aus ihrem Dornröschenschlaf wecken und auf den Radar der Champagner schlürfenden High Society und ihrer prall gefüllten Geldbörsen bringen konnte. Dass Sonntal absolut kein Interesse daran hatte, ein zweites St. Moritz oder eine, wie Mindenfeld es stets gern formulierte, bayerische Riviera zu werden, spielte für den Mann keinerlei Rolle. Mindenfeld war überzeugt, es besser zu wissen und ohnehin nur das Wohl seines geliebten Dorfes im Sinn zu haben. Auf die Idee, dass gerade der Dornröschenschlaf das Wohl Sonntals definierte, kam er erst gar nicht. Auch an diesem Nachmittag machte er einen ausgesprochen ambitionierten Eindruck. Sein dunkler Anzug saß tadellos, sein schwarz gefärbtes Haar war akkurat gescheitelt, und das Zahnpastalächeln in seinem von unzähligen Sonnenbankstunden gestählten Gesicht wirkte wie eine grellweiße Insel in gebräunter See.
»Sind Sie dienstlich hier, mein Lieber?«, fragte Heiland. »Oder hat auch Sie das Lesefieber gepackt?«
Sein Gegenüber setzte zu einer Antwort an, machte dann aber einen schnellen Ausfallschritt, als die beiden Kinder erneut durch den Raum hetzten, dicht gefolgt von ihrer vor Anstrengung schnaufenden Mutter. Erst jetzt bemerkte Heiland,