1. KAPITEL
Allison Jill Oliver drückte den weichen Körper ihres Lieblingskuscheldrachens an sich, während sie auf Zehenspitzen aus ihrem Zimmer zur obersten Treppenstufe schlich. Wie eine Ballerina hob sie den Saum ihres Nachthemds und wartete einen Augenblick, bevor sie lautlos zum nächsten Treppenabsatz hinunterhuschte. Dort wartete sie erst still im Schatten und schob sich dann zum Geländer hinüber, um durch die Holzstäbe hindurch nach unten in die Eingangshalle sehen zu können. „Schschsch, Hunny“ flüsterte sie dem Stofftier ins Ohr. „Du musst ganz still sein, sonst schickt er uns wieder ins Bett zurück.“
Der schon ziemlich abgenutzte Drache schwieg gehorsam, und Allie drückte seinen ausgeleierten dürren Hals noch fester an sich, während sie auf die halb offen stehende Tür von Sams Arbeitszimmer starrte. Da war er drin, und am liebsten wäre sie auch hineingegangen, hätte sich auf seinen Schoß gesetzt und ihn gebeten, ihr eine Geschichte vorzulesen. Aber Sam mochte nicht, wenn man ihn störte. Er würde nur wieder sagen, dass sie jetzt fünf Jahre alt und damit alt genug sei, um zu verstehen, dass er arbeiten müsse, und dass sie wie ein großes Mädchen im Bett bleiben und schlafen solle. Das hatte er ihr schließlich noch vor fünf Minuten gesagt.
Allison seufzte und ließ sich auf den Boden plumpsen. Sie steckte die nackten Füße durch die Zwischenräume im Geländer und ließ die Beine in den Treppenschacht baumeln. Sie hatte keine Lust auf dieses blöde Schlafen. Sie wollte lieber „Das beste Nest“ vorgelesen bekommen. Das war nämlich ihr Lieblingsbuch, und seit Sam sie bei Grandma abgeholt und nach Hause gebracht hatte, hatte es ihr keiner mehr vorgelesen.
„Wenn ich Sie während Ihrer Geschäftszeiten hätte erreichen können, müsste ich nicht so spät am Abend noch anrufen.“ Selbst draußen auf dem Treppenabsatz war die Ungeduld in Sams Stimme noch deutlich zu hören.
Allison umklammerte einen Geländerpfosten und presste das Gesicht an das Holz.
„Und ob das ein Notfall ist!“ Sams Stimme klang nun sehr verärgert. „Ich habe morgen früh um acht einen wichtigen Termin, und Sie müssen mir ein anderes Kindermädchen schicken. Und zwar sofort.“ Er machte eine Pause, dann wurde seine Stimme wieder lauter. „Aber ich habe Miss Maggard nicht entlassen. Sie ist einfach gegangen … übrigens ohne zu kündigen … Bitte? Wieso um alles in der Welt ist das meine Schuld …? Natürlich weiß ich, dass Allie manchmal schwierig ist … Sie ist letztes Jahr bei ihrer Großmutter vielleicht etwas zu sehr verwöhnt worden, aber die Kleine ist gerade mal fünf Jahre alt. Wie soll sie da bitte eine erfahrene Nanny wie Miss Maggard in weniger als einer Woche vertreiben können? Das ist ja lächerlich!“
Allison verzog den Mund. Sie hatte niemanden vertreiben wollen, aber sie war froh, dass Miss Maggard weg war. Die war gar nicht nett gewesen. Außerdem hatte sie eine große Nase, ihre Zähne klickten genauso wie die kleine Uhr auf Sams Schreibtisch, und zum Mittagessen gab es bei ihr immer nur Käsebrote.
„Ich will mich nicht mit Ihnen streiten“, fuhr Sam fort, und seine Stimme klang nun etwas versöhnlicher. „Ich verstehe Sie, Mrs. Klepperson, aber Sie müssen doch jemanden haben, über den Sie kurzfristig verfügen können. In Ihrer Annonce betonen Sie doch – und jetzt zitiere ich –: ,Die Kindermädchen-Agentur ,Schutzengel’ wird mit jedem Notfall fertig. Unsere Engel helfen Ihnen jederzeit aus.’ Finden Sie jetzt auch einen für mich, oder muss ich mich an eine andere Agentur wenden?“
Allison kaute auf ihrer Unterlippe.
„Ich verstehe. Das ist sicher Ihr gutes Recht, Mrs. Klepperson, aber im Interesse des Rufs Ihrer Agentur schlage ich doch vor, dass Sie das noch einmal überdenken, verdammt noch mal!“ Der Telefonhörer wurde aufgeknallt, und dann hörte man nur noch wütend geknurrte, undeutliche Worte.
Allie hielt ihrem Drachen die Ohren zu. „Hör nicht hin, Hunny. Sam ist nicht auf dich böse. Er weiß, dass es nicht deine Sc