1. KAPITEL
Die meisten Menschen wurden nostalgisch, wenn sie zu ihren Wurzeln zurückkehrten – auf Clay Jenkins traf das nicht zu.
Er saß in einem unauffälligen Geländewagen im Schatten der Bäume an der Hauptstraße von Brighton Valley, gerade mal drei Gebäude von der alten Computerwerkstatt entfernt, in der er vor neun Jahren seiner ersten Job bekommen hatte. Aber der gehörte zu dem alten Leben, das er hinter sich gelassen und zu vergessen versucht hatte.
Natürlich hätte er jemanden herschicken können, um die kränkelnde Filiale wieder in Ordnung zu bringen, aber genau hier hatte auch sein neues Leben begonnen.
Hank Lazaro, sein Freund und Ratgeber, hatte ihm damals etwas zu tun gegeben. Anstatt wie manche seiner Altersgenossen Probleme mit der Polizei zu bekommen, hatte er nach der Schule viel übers Geschäft und über harte und ehrliche Arbeit gelernt. Hier hatte er den Geldgeber kennengelernt, mit dessen Hilfe er seine Software auf den Markt gebracht hatte und schon vor dem reifen Alter von zwanzig Multimillionär geworden war.
Clay wusste, dass der Anblick des malerischen alten Hauses ihn nicht wehmütig stimmen sollte, erst recht nicht in einer texanischen Kleinstadt, aus der er als Teenager gar nicht schnell genug hatte verschwinden können. Doch als er die letzten Vierteljahresberichte gelesen und erkannt hatte, dass die Filiale kurz vor dem Ruin stand, war ihm klar geworden, dass er sich persönlich darum kümmern musste.
Er stieg aus dem Wagen, den er nach der Landung seines Privatjets in Houston gemietet hatte, und atmete die frische Landluft ein. Als ihm der Duft aus Caroline’s Diner in die Nase stieg, knurrte sein Magen. Außer einem Bagel am frühen Morgen in seinem Büro in Silicon Valley hatte er heute noch nichts gegessen.
Wenn es um Hausmannskost ging, kochte niemand besser als Caroline. Er kannte ihre Speisekarte auswendig und konnte nur hoffen, dass das Angebot noch so aussah wie früher. Als er hier gearbeitet hatte, war er jeden Mittag dort gewesen. Obwohl er sich inzwischen gesünder ernährte, war er fest entschlossen, sich so bald wie möglich ihren Hackbraten schmecken zu lassen.
Clay nahm die Sonnenbrille ab, denn er bezweifelte, dass irgendein Einheimischer ihn wiedererkennen würde. Er sah nicht mehr aus wie der junge Computerfreak, der sich bei Ralph’s Electronics Geld dazuverdient hatte. Vor sieben Jahren war Ralph verstorben, und Clay hatte der Witwe das Geschäft für das Zehnfache des Werts abgekauft und zu einer Filiale seiner Zorba-the-Geek-Kette gemacht, einer Tochtergesellschaft von Geekon Enterprises, der auch die GeekMarts gehörten, die ihren Erfolg den innovativen Geekon-Computern verdankten.
Vor sechs Monaten hatte er Don Carpenter eingestellt und ihm das Geschäft in Brighton Valley übergeben. Dann war er nach Silicon Valley zurückgeflogen und hatte die traurigen Erinnerungen an die Kleinstadt hinter sich gelassen. Jedenfalls hatte er das geglaubt.
Jetzt war er wieder hier, in Kakihose und schwarzem Poloshirt, und hoffte, dass er in dem ländlichen Idyll nicht weiter auffiel. Er wäre lieber in Kalifornien, in einem seiner vielen Maßanzüge, auf irgendeiner Party. Doch als die jährlichen Umsatzzahlen aus Brighton Valley ausgeblieben waren, hatte er gewusst, dass etwas nicht stimmte. Er wollte nicht glauben, dass jemand Geld unterschlug oder ein anderes krummes Ding drehte, aber bei Hunderten von Filialen in der ganzen Welt wäre es nicht das erste Mal.
Natürlich hätte er einen Privatdetektiv herschicken können, aber er wollte das Problem lieber selbst lösen, auch wenn er dazu verdeckt ermitteln musste. Zum Glück war er Don Carpenter noch nie persönlich begegnet. Bisher hatten sie nur miteinander telefoniert oder E-Mails ausgetauscht.
Da Clay im nahegelegenen Wexler aufgewachsen war, kannte ihn in Brighton Valley so gut wie niemand. Dass ausgerechnet hier jemand sein Foto in einer Business-Zeitschrift gesehen hatte, war eher unwahrscheinlich. Trotzdem hatte er sich den trendigen Bart abrasiert, das schulterlange Haar gekürzt und die modische Brille durch Kontaktlinsen ersetzt. Nur seine selbstbewusste Haltung, die er sich so hart erarbeitet hatte, legte er nicht ab, als er die schattige Straße entlangging.
In Brighton Valley schien sich nicht viel verändert zu haben, seit er jeden Nachmittag sein gebrauchtes Fahrrad an die Parkuhr vor der Werkstatt gekettet hatte. Er selbst dagegen war ein ganz anderer Mensch geworden. Er war jetzt sechsundzwanzig, und nichts erinnerte mehr an den schmächtigen Teenager, der Angst gehabt hatte, dass die Jungen aus dem Foo