1. Kapitel
Bevor ich mir überlegen muss, wie ich Leon davon abhalte, jetzt vor mir auf die Knie zu gehen, erklingt der Alarm auf meinem Handy. Am liebsten hätte ich erleichtert geseufzt. Ein Heiratsantrag hätte mir wirklich gehörig den Abend versaut.
Ich ziehe mein Handy aus meiner Tasche und sehe das, worauf ich gehofft habe:Vampir beim Kaufhaus Lafayette gesichtet.
»Wir müssen los«, sage ich und erhebe mich von meinem Stuhl. Leon hat sich noch nicht bewegt, sondern starrt enttäuscht auf seine Sektflöte, als wäre sie an allem schuld. Bevor er sich trotz Ablenkung zu einem spontanen Antrag hinreißen lässt, werfe ich ein paar Geldscheine auf den Tisch und steuere auf den Ausgang des Restaurants zu.
Wenn mich jemand fragen würde, ob ich lieber bei Kerzenlicht irgendein überteuertes Gericht esse oder auf Vampirjagd gehe, wäre meine Antwort klar.
Ich trete auf die Straße, öffne meine Handtasche und hole einen Holzpfahl heraus.
»Du hast Waffen in deiner Tasche?«, fragt Leon, sobald er neben mir steht. Das sollte ihn doch eigentlich nicht mehr überraschen. Heute ist unser Jahrestag. Wir sind seit vier Jahren zusammen und kennen uns, seitdem wir Kinder waren. Ich habe Holzpfähle dabei, egal, wohin ich gehe.
»Du etwa nicht?«, frage ich augenzwinkernd zurück und gebe ihm einen Kuss auf den Mund, bevor ich mich auf den Fahrersitz meines Minis schiebe und den Holzpfahl griffbereit in den Getränkehalter lege. Leon grinst beschwichtigt und setzt sich auf den Beifahrersitz. Er schlägt die Autotür hinter sich zu, und ich gebe sofort Gas.
»So habe ich mir unseren Jahrestag nicht vorgestellt«, sagt er, während ich mein Auto so schnell ich kann, ohne von der Polizei angehalten zu werden, durch die Straßen von Paris lenke.
Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll. Er hat meine beste Freundin Zoe um Hilfe bei der Auswahl des Rings gebeten. Und sie hat mir schon von seinem Antrag erzählt, bevor sie das Schmuckgeschäft überhaupt betreten hatten. Zoe hat sich die nächsten Tage nicht mehr eingekriegt. Sie ist ständig aufgeregt um mich herumgehüpft. Komischerweise konnte ich ihre Freude nicht teilen.
Zoe liebt Leon. Meine Eltern lieben Leon. Alle meine Freunde lieben Leon. Ich liebe Leon. Glaube ich.
Er ist der zweitbeste Jäger in unserem Alter. Wir teilen dieselben Werte und glauben an dieselbe Sache. Er hat sein Leben der gleichen Mission verschrieben. Wir sind Vampirjäger. Das wird für uns beide immer an erster Stelle stehen.
Ich sollte also enttäuscht sein, dass dieser Abend beendet wurde, bevor er fragen konnte, ob ich ihn heiraten will. Doch ich bin erleichtert. Denn ich hätte Nein gesagt. Ich bin zwanzig Jahre alt. Ich bin noch nicht bereit zu heiraten.
Erst jetzt fällt mir auf, dass ich nicht auf seine Aussage reagiert habe. Aber Leon scheint nicht beleidigt zu sein. Er glaubt vermutlich, dass ich in Gedanken bereits bei unserem bevorstehenden Einsatz bin. Das sollte ich sein. Aber ich kann die Anwesenheit des protzigen Verlobungsrings quasi körperlich spüren. Und das, obwohl ich ihn nicht mal sehen kann.
Wir erreichen das Kaufhaus Lafayette, und ich stelle den Motor ab. Leon und ich machen uns schweigend fertig. Sobald ich den Kofferraum öffne und meine hohen Schuhe hineinwerfe, verschwinden alle anderen Gedanken, die mich heute Abend beschäftigt haben, und ich werde vollkommen ruhig. So ist es vor jedem Einsatz. Leon nennt es die Ruhe vor dem Sturm.
Ich schlüpfe aus meinem Seidenkleid und hinein in meine Kampfmontur. Ich habe immer zwei im Auto. Leon nimmt sich die andere. Der schwarze Stoff ist fest und dick genug, dass